Newsletter 12/2021-II: Regelungen zu Zugang und Dauer von Kurzarbeitgeld erneut verlängert
Pressemitteilung des BMAS v. 24.11.2021
Möglichkeiten zum erleichterten Zugang und zur Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld erneut verlängert
Mit der Verordnung über die Bezugsdauer und Verlängerung der Erleichterungen der Kurzarbeit (Kurzarbeitergeldverlängerungsverordnung - KugverlV) wird die Möglichkeit, die maximale Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes von bis zu 24 Monaten nutzen zu können, für weitere drei Monate bis zum 31. März 2022 verlängert.
Zusätzlich werden auch die Erleichterungen und Sonderregelungen für den Bezug des Kurzarbeitergeldes bis zum 31. März 2022 verlängert. Die bisherige vollständige Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge wird dabei auf die Hälfte reduziert.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil: „Kurzarbeit zeigt sich als wirksames Instrument zur Sicherung von Millionen Arbeitsplätzen während der COVID-19-Pandemie. Aktuell steigen die Infektionszahlen in Deutschland so stark wie nie zuvor in dieser Pandemie. Einzelne Bundesländer haben bereits sogenannte 2G-Regelungen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens eingeführt und es ist nicht auszuschließen, dass weitere verschärfte Maßnahmen ergriffen werden müssen, mit deutlichen Auswirkungen auf den lokalen Einzelhandel, das Gastgewerbe und den gesamten Dienstleistungsbereich. Außerdem belasten pandemiebedingte Lieferschwierigkeiten die Produktion im verarbeitenden Gewerbe. Für viele Betriebe ist nicht absehbar, wann sie das Vorkrisenniveau wieder erreichen können. Mit der Kurzarbeitergeldverlängerungsverordnung bauen wir den betroffenen Betrieben und ihren Beschäftigten eine beschäftigungssichernde Brücke bis zum Ende des ersten Quartals 2022 und geben ihnen damit Planungssicherheit.“
Die Verordnung regelt im Einzelnen:
• Die Voraussetzungen für den Zugang zum Kurzarbeitergeld bleiben weiterhin bis zum 31. März 2022 herabgesetzt:
- Die Zahl der Beschäftigten, die im Betrieb vom Arbeitsausfall betroffen sein müssen, bleibt von mindestens einem Drittel auf mindestens 10 Prozent abgesenkt und
- auf den Aufbau negativer Arbeitszeitsalden vor der Gewährung von konjunkturellem Kurzarbeitergeld und Saison-Kurzarbeitergeld wird weiter vollständig verzichtet.
• Der Zugang für Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer zum Kurzarbeitergeld bleibt bis zum 31. März 2022 eröffnet.
• Den Arbeitgebern werden die von ihnen während der Kurzarbeit allein zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 50 Prozent auf Antrag in pauschalierter Form erstattet.
Damit stellen wir sicher, dass Beschäftigungsverhältnisse auch im ersten Quartal 2022 stabilisiert sowie Arbeitslosigkeit und Insolvenzen vermieden werden.
Die Änderungen treten mit Wirkung vom 1. Januar 2022 in Kraft und mit Ablauf des 31. März 2022 außer Kraft.
Im Übrigen werden den Arbeitgebern weitere 50 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge erstattet, wenn ihre Beschäftigten während der Kurzarbeit an einer unter bestimmten Voraussetzungen geförderten beruflichen Weiterbildung teilnehmen. Auch können die Lehrgangskosten für diese Weiterbildungen abhängig von der Betriebsgröße ganz oder teilweise erstattet werden
Quelle: Pressemitteilung des BMAS v. 24.11.2021
Newsletter 12/2021-I: Kürzung des Urlaubs bei Kurzarbeit "Null"
BAG, Urteil vom 30. November 2021, Az: 9 AZR 225/21
Urlaubsanspruch darf bei Kurzarbeit Null gekürzt werden
Fallen aufgrund von Kurzarbeit einzelne Arbeitstage vollständig aus, ist dies bei der Berechnung des Jahresurlaubs zu berücksichtigen, so das BAG.
Die Klägerin ist bei der Beklagten drei Tage wöchentlich als Verkaufshilfe mit Backtätigkeiten beschäftigt. Bei einer Sechstagewoche hätte ihr nach dem Arbeitsvertrag ein jährlicher Erholungsurlaub von 28 Werktagen zugestanden. Dies entsprach bei einer vereinbarten Dreitagewoche einem Urlaubsanspruch von 14 Arbeitstagen.
Aufgrund Arbeitsausfalls durch die Corona-Pandemie führte die Beklagte Kurzarbeit ein. Dazu trafen die Parteien Kurzarbeitsvereinbarungen, auf deren Grundlage die Klägerin ua. in den Monaten April, Mai und Oktober 2020 vollständig von der Arbeitspflicht befreit war und in den Monaten November und Dezember 2020 insgesamt nur an fünf Tagen arbeitete.
Aus Anlass der kurzarbeitsbedingten Arbeitsausfälle nahm die Beklagte eine Neuberechnung des Urlaubs vor. Sie bezifferte den Jahresurlaub der Klägerin für das Jahr 2020 auf 11,5 Arbeitstage. Dagegen hat sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat den Standpunkt eingenommen, kurzarbeitsbedingt ausgefallene Arbeitstage müssten urlaubsrechtlich wie Arbeitstage gewertet werden. Die Beklagte sei daher nicht berechtigt gewesen, den Urlaub zu kürzen. Für das Jahr 2020 stünden ihr weitere 2,5 Urlaubstage zu.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte beim Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf weitere 2,5 Arbeitstage Erholungsurlaub für das Kalenderjahr 2020. Nach § 3 Abs. 1 BUrlG beläuft sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei einer gleichmäßigen Verteilung der Arbeit auf sechs Tage in der Woche auf 24 Werktage. Ist die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers nach dem Arbeitsvertrag auf weniger oder mehr als sechs Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt, ist die Anzahl der Urlaubstage grundsätzlich unter Berücksichtigung des für das Urlaubsjahr maßgeblichen Arbeitsrhythmus zu berechnen, um für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer zu gewährleisten (24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage).* Dies gilt entsprechend für den vertraglichen Mehrurlaub, wenn die Arbeitsvertragsparteien - wie im vorliegenden Fall - für die Berechnung des Urlaubsanspruchs keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen haben.
Bei der vertraglichen Dreitagewoche der Klägerin errechnete sich zunächst ein Jahresurlaub von 14 Arbeitstagen (28 Werktage x 156 Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage). Der kurzarbeitsbedingte Ausfall ganzer Arbeitstage rechtfertigte eine unterjährige Neuberechnung des Urlaubsanspruchs. Aufgrund einzelvertraglich vereinbarter Kurzarbeit ausgefallene Arbeitstage sind weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen. Der Urlaubsanspruch der Klägerin aus dem Kalenderjahr 2020 übersteigt deshalb nicht die von der Beklagten berechneten 11,5 Arbeitstage. Allein bei Zugrundelegung der drei Monate, in denen die Arbeit vollständig ausgefallen ist, hätte die Klägerin lediglich einen Urlaubsanspruch von 10,5 Arbeitstagen (28 Werktage x 117 Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage).
Vorinstanz
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 12. März 2021 - 6 Sa 824/20 -
In einer weiteren Sache hat der Neunte Senat erkannt, dass diese Grundsätze auch dann Anwendung finden, wenn die Kurzarbeit wirksam aufgrund einer Betriebsvereinbarung eingeführt worden ist. (9 AZR 234/21)
Vorinstanz
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg -, Urteil vom 3. Mai 2021 - 9 Sa 1/21 -
* Rechtsprechung des Senats vgl. BAG 19. März 2019 - 9 AZR 406/17 - (Sonderurlaub); vgl. 24. September 2019 - 9 AZR 481/18 - (Altersteilzeit).
Quelle: Pressemitteilung des BAG Nr. 41/2021 v. 30.11.2021
Newsletter 05/2021-I: Kann eine technisch ungenaue Aufzeichnung der Arbeitszeit zur Vergütungspflicht von Überstunden führen?
LArbG Hannover, Az: 5 SA 1292/20 vom 06.05.2021
Urteil des ArbG Emden zur Darlegungslast im Überstundenprozess abgeändert
Das LArbG Hannover hatte über die Berufung gegen ein Teilurteil des Arbeitsgerichts Emden zu entscheiden.
Geklagt hatte ein Arbeitnehmer, der bis 30.9.2019 als Auslieferungsfahrer bei der Beklagten gearbeitet hatte. Der Kläger machte Überstundenvergütung für einen Zeitraum von 1,5 Jahren auf Basis von der Beklagten erstellter technischer Zeitaufzeichnungen geltend. Ob diese Aufzeichnungen zur Erfassung der vergütungspflichtigen Arbeitszeit erstellt worden waren, war zwischen den Parteien streitig.
Das Arbeitsgericht hatte der Klage insoweit stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei in europarechtskonformer Auslegung des § 618 BGB zur Erfassung und Kontrolle der Arbeitszeiten des Klägers verpflichtet gewesen. Da sie dieser Verpflichtung nach ihrem eigenen Vortrag nicht nachgekommen sei, reichten die vorgelegten technischen Aufzeichnungen als Indiz für die geleistete Arbeitszeit aus. Diese Indizien habe die Beklagte nicht, z. B. durch Darlegung von Pausenzeiten, entkräften können.
Diese Auffassung teilte die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts nicht.
Das Urteil des EuGH vom 14.5.2019 - C-55/18 - habe keine Aussagekraft für die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess im Hinblick auf die Frage der Anordnung, Duldung oder Betriebsnotwendigkeit von Überstunden. Dem EuGH komme keine Kompetenz zur Entscheidung über Fragen der Vergütung zu. Dies ergebe sich aus Art. 153 AEUV. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Überstundenvergütung habe der Kläger daher nicht dargelegt.
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts in ihrer Entscheidung zugelassen.
Vorinstanz
- ArbG Emden, Teilurteil vom 9.11.2020 - 2 Ca 399/18
Quelle:
- Pressemitteilung des LArbG Hannover v. 10.05.2021
Newsletter 05/2021-II: DSGVO-Verstoß des Arbeitgebers - Schmerzensgeld für Beschäftigte?
LArbG Köln 2. Kammer, Urteil vom 14.09.2020 - 2 Sa 358/20
Sind personenbezogene Beschäftigtendaten auch nach Ende des Beschäftigtenverhältnisses im Internet sichtbar, kann dies ein Schmerzensgeld rechtfertigen.
Problemstellung
Art. 82 DSGVO gewährt von Datenschutzverstößen betroffenen Personen das Recht auf Ersatz des materiellen, aber auch immateriellen Schadens. Soweit bei materiellen Schäden eine Bezifferung des Schadens in der Regel einfach möglich ist, ist dies bei der Geltendmachung von Schmerzensgeld anders, was zu einer gewissen Zurückhaltung der Gerichte führt.
Vorliegend hatte das LArbG Köln über Ansprüche einer Arbeitnehmerin auf Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO wegen Datenschutzverletzungen ihres ehemaligen Arbeitgebers zu entscheiden.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin war bei dem beklagten Arbeitgeber als Hochschulprofessorin beschäftigt. Im Zuge dessen speicherte dieser das Profil der Klägerin und verlinkte dies auf seinem Internetauftritt. Das Profil war zunächst als PDF angelegt. Nach der Umstellung auf HTML wurde von Seiten des Arbeitgebers übersehen, dass das Profil weiterhin als PDF online abrufbar war.
Im Jahre 2018 trennten sich die Parteien einvernehmlich im Wege eines Aufhebungsvertrags. In diesem wurde vereinbart, dass das Profil und Foto der Klägerin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Internetauftritt sowie aus dem Intranet gelöscht werden. Dies führte der beklagte Arbeitgeber durch. Dabei übersah er, dass das isolierte PDF sichtbar blieb und über eine näher bezeichnete URL mittels Suchmaschine unter den ersten zehn Treffern auf der Internetseite auffindbar blieb, nicht jedoch durch Aufsuchen der Homepage selbst.
Die Klägerin beauftragte einen Rechtsanwalt hinsichtlich der Forderung nach Löschung des PDF. Ferner legte sie Beschwerde bei der Landes-Datenschutzaufsicht ein, welche aber mit Blick auf die Regelung des Aufhebungsvertrages, die vom Arbeitgeber erfüllt worden sei, im Wesentlichen von weiteren Schritten absah. Daraufhin erhob sie Klage zum Arbeitsgericht und forderte Schmerzensgeld i.H.v. 1.000 Euro gemäß Art. 82 DSGVO. Das ArbG Köln hielt einen Schadensersatz i.H.v. 300 Euro für angemessen, im Übrigen wies es die Klage ab (ArbG Köln, Urt. v. 12.03.2020 - 5 Ca 4806/19). In der Bereithaltung der PDF liege eine Persönlichkeitsrechtsverletzung, „die einen Bagatellfall“ überschreite.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des LArbG Köln steht an der Spitze einer eher zurückhaltenden Rechtsprechung hinsichtlich des Schadensersatzes nach Art. 82 DSGVO wegen Datenschutzverstößen.
So entschied zwar das LG Köln (Urt. v. 07.10.2020 - 28 O 71/20), dass für die Ermittlung der Schadensersatzhöhe die Grundsätze des §253 BGB („immaterieller Schaden“) zugrunde zu legen seien, demnach „Art, Schwere und Dauer des Verstoßes unter Berücksichtigung der Art, des Umfangs oder des Zwecks der betreffenden Verarbeitung sowie die betroffenen Kategorien personenbezogener Daten zu berücksichtigen (seien …) und [e]in genereller Ausschluss von Bagatellfällen“ nicht bestehe. Gleichwohl komme Schadensersatz nicht in Frage, wenn es sich „um einen Bagatellfall“, in Form der „einmalige[n] und erstmalige[n] Übersendung eines wenige Blätter umfassenden Kontoauszuges an einen falschen Empfänger“ handele. Praktisch wird damit in vielen Fällen eine Bagatellgrenze gezogen.
Art. 82 Abs. 1 DSGVO sieht jedoch vor, dass jede[r] Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, (…)“ ein Anspruch auf Schadensersatz zusteht. Dies wird aus Erwägungsgrund 146 („Schadenersatz“, S. 6) dahingehend konkretisiert, dass die betroffenen Personen „einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden erhalten“ sollten. Damit liegt der Norm ein weiter, autonom auszulegender und umfassender Schadensbegriff zugrunde, welcher insbesondere „effektiv“ sein und eine abschreckende Wirkung erzielen soll (Bergt in: Kühling/Buchner, DSGVO BDSG, 3. Aufl. 2020, Art. 82 DSGVO Rn. 17).
...
Diese Maßgabe verträgt sich nicht mit der bisherigen nationalen Rechtsprechung zu Schmerzensgeldansprüchen, welche nur bei „schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen“ relevante Summen zugesprochen hat (Bergt in: Kühling/Buchner, DSGVO BDSG, Art. 82 DSGVO Rn. 18a).
Bagatellgrenzen sieht die DSGVO nämlich nicht vor. Es wäre wohl auch kaum verständlich, weshalb bei einer Datenschutzverletzung eine Geldbuße nach Art. 83 DSGVO drohen sollte, aber ein Ersatz oder Regress der betroffenen Person nach Art. 82 DSGVO mangels hinreichender Eingriffstiefe abzulehnen sei (so auch Bergt in: Kühling/Buchner, DSGVO BDSG, Art. 82 DSGVO Rn. 18a).
Es geht auch anders. So hielt das ArbG Düsseldorf (Urt. v. 05.03.2020 - 9 Ca 6557/18) einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens aus Art. 82 DSGVO i.H.v. 5.000 Euro für angemessen, da ein Auskunftsantrag nach Art. 15 DSGVO weder fristgerecht noch inhaltlich richtig beauskunftet wurde. In diesem Verfahren ist die Berufung anhängig (Az. des LArbG Düsseldorf: 14 Sa 294/20).
...
Auswirkungen für die Praxis
Die Frage nach Schmerzensgeld für Datenschutzverstöße steht erst am Anfang. Aus der Praxis zeigt sich, dass viele Beschäftigte, gerade im gekündigten Beschäftigtenverhältnis oder beim Vorliegen von Störungen, für Art. 82 DSGVO zunehmend sensibilisiert sind. Aufsichtsbehörden gehen inzwischen davon aus, dass die Wirkung von Bußgeldern nach Art. 83 DSGVO hinter derjenigen von Schadensersatzansprüchen Beschäftigter nach Art. 82 DSGVO zurückbleiben wird.
verkürzt zitiert aus Fundstelle:
jurisPR-ArbR 20/2021 Anm. 4
Newsletter 04/2021-I: Zweite Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung: Laufdauerverlängerung bis 30.06.2021 und Testpflicht für Betriebe
SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung: Laufdauerverlängerung bis 30.06.2021, Testpflicht für Betriebe, Entgeltfortzahlung für die Zeit der Testung
Weitere Verlängerung der Geltungsdauer der SARS-CoV-2- Arbeitsschutzverordnung
Da das Infektionsgeschehen auch im zweiten Jahr der epidemischen Lage von nationaler Tragweite (§5 Abs.1 des Infektionsschutzgesetzes – IfSG) nicht abebbt, sind am 20.04. einige Änderungen in der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung in Kraft getreten. Die Laufzeit wurde bis zum 30. Juni 2021 verlängert, sofern die epidemische Lage nationaler Tragweite nicht zuvor durch den Deutschen Bundestag aufgehoben wird.
Die Pflicht des Arbeitgebers, im Betrieb Beschäftigten Testangebote zu machen
A. Der Normtext
Das BMAS hat in die Verordnung nach § 4 einen neuen § 5 eingefügt:
„§ 5 Tests in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2
(1) Zur Minderung des betrieblichen SARS-CoV-2-Infektionsrisikos hat der Arbeitgeber Beschäftigten, soweit diese nicht ausschließlich in ihrer Wohnung arbeiten, mindestens einmal pro Kalenderwoche einen Test in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 anzubieten.
(2) Folgenden Beschäftigten hat der Arbeitgeber abweichend von Absatz 1 mindestens zwei Tests pro Kalenderwoche in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 anzubieten:
1. den Beschäftigten, die vom Arbeitgeber oder auf dessen Veranlassung in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind,
2. den Beschäftigten, die unter klimatischen Bedingungen in geschlossenen Räumen arbeiten, die eine Übertragung des Coronavirus SARS-CoV-2 begünstigen,
3. den Beschäftigten in Betrieben, die personennahe Dienstleistungen anbieten, bei denen direkter Körperkontakt zu anderen Personen nicht vermieden werden kann,
4. den Beschäftigten, die betriebsbedingt Tätigkeiten mit Kontakt zu anderen Personen ausüben, sofern die anderen Personen einen Mund-Nase-Schutz nicht tragen müssen, und
5. den Beschäftigten, die betriebsbedingt in häufig wechselnden Kontakt mit anderen Personen treten. (3) Nachweise über die Beschaffung von Tests nach Absatz 1 und Absatz 2 oder Vereinbarungen mit Dritten über die Testung der Beschäftigten sind vom Arbeitgeber vier Wochen aufzubewahren.“
B. Die Begründung der Testung mit Erkenntnissen des RKI
Das Ministerium für Arbeit und Soziales begründet diese Neuerung mit dem Ziel, das Infektionsrisiko bestmöglich einzudämmen. Es beruft sich auf die Erkenntnisse des Robert Koch-Instituts (RKI). Dieses hat festgestellt, dass die neuen SARS-CoV-2-Virusmutationen eine erhöhte Übertragbarkeit aufweisen und mit einer erhöhten Fallsterblichkeitsrate einhergehen. Insbesondere Antigen-Schnelltests sind als niederschwellige Instrumente zur Identifizierung sonst unerkannter Infektionen geeignet. Je häufiger getestet wird und je schneller ein Testergebnis vorliegt, desto früher und wirkungsvoller kann ein Eintrag des Virus in den Betrieb reduziert oder ganz vermieden werden. Da SARS-CoV-2 auch von asymptomatischen Personen übertragen wird, ist es daher erforderlich, möglichst viele Personen regelmäßig zu testen. Nur so können auch symptomfreie Beschäftigte identifiziert werden, die ansteckend sind. Durch das frühzeitige Erkennen dieser Beschäftigten können mögliche Infektionsketten im Betrieb verhindert oder unterbrochen werden. Testungen werden auch zum Schutz der Beschäftigten als erforderlich angesehen, bei denen tätigkeitsbedingt ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht.
C. Die Häufigkeit der Testungen
Beschäftigte, die Tätigkeiten in Innenräumen unter infektionsförderlichen klimatischen Bedingungen ausführen und Beschäftigte, die tätigkeitsbedingt häufige Personenkontakte haben oder körpernahe Dienstleistungen ausführen, können häufiger getestet werden. Es wird somit unterschieden:
- Nach §5 Abs.1 sollen Beschäftigte ohne tätigkeitsbezogenes erhöhtes Infektionsrisiko mindestens einen Test pro Kalenderwoche erhalten und
- nach § 5 Abs. 2 sollen Beschäftigten, die unter erhöhten Infektionsrisiken beschäftigt werden, mindestens zwei Tests pro Kalenderwoche erhalten.
Die Faktoren, die als Risiko erhöhend geltend, sind in §5 Abs.2 Nr.1 bis 5 abschließend aufgezählt.
Weitere Regelungen in den Infektionsschutzverordnungen der Deutschen Bundesländer
Soweit Testungen zum Schutz vulnerabler Personengruppen notwendig sind, haben die Länder diese auf der Grundlage von §32 Abs.1 IfSG durch Rechtsverordnungen zu regeln. Von dieser Ermächtigung haben die Länder auf der Schnittstelle von Arbeits- und Bevölkerungsschutz auch Gebrauch gemacht.
Beispielhaft genannt sei
- die seit dem 01.04.2021 in Thüringen geltende SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung (ThürSARS-CoV-2-IfS-MaßnVO). Ein Arbeitgeber hat als verantwortliche Person des Betriebs nach §5 Abs.2 ThürSARS-CoV-2-IfS-MaßnVO „… die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, die arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben sowie weitere einschlägige Infektionsschutzregeln insbesondere für Personal, …einzuhalten und umzusetzen.“ Dazu gehört nach §5 Abs.1 ThürSARS CoV-2-IfS-MaßnVO auch ein schriftliches Infektionsschutzkonzept, das Maßnahmen zur tagesaktuellen Durchführung von Antigen-Schnelltests oder von Selbsttests unter Aufsicht der verantwortlichen Person vorsieht, soweit in der Verordnung Testungen vorgeschrieben sind. Nach §40 Abs.3 Nr.44 ThürSARS-CoV-2-IfS-MaßnVO handelt ordnungswidrig, wer sich als Beschäftigter vorsätzlich oder fahrlässig entgegen §30 Abs.6 nicht auf das Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2-testen lässt. Die Geldbuße beträgt bis zu 25.000 Euro. Ebenso wird nach §40 Abs.3 Nr.2 ThürSARS-CoV-2-IfS-MaßnVO mit Geldbuße geahndet, wenn ein Arbeitgeber als verantwortliche Person keine vorgeschriebenen Vorkehrungen und Maßnahmen wie Testungen trifft.
- die in seit dem 01.04.2021 geltende Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 (CoronaSchVO). Diese verpflichtet ie Arbeitgeber, allen an der Arbeitsstätte anwesenden Beschäftigten wöchentlich einen Test anzubieten. Gemäß §3a Abs.2 CoronaSchVO muss der Test allen Beschäftigten mit direktem Kundenkontakt zweimal wöchentlich angeboten werden.
In den anderen Bundesländern finden sich entsprechende Infektionsschutzverordnungen.
Entgeltfortzahlung für die Zeit der Testung
In der Begründung der Kabinettvorlage der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung wird zur Frage des Erfüllungsaufwands ausgeführt:„Die Entscheidung, ob die freiwillige Testung der Beschäftigten innerhalb der Arbeitszeit der Beschäftigten erfolgt oder nicht, wird im Rahmen betrieblicher Vereinbarungen getroffen. Eventuell entstehende Lohnkosten für den Arbeitgeber werden daher an dieser Stelle nicht berücksichtigt …“. Der Verordnungsgeber geht somit davon aus, dass die Testung außerhalb der Arbeitszeit erfolgt, soweit keine abweichenden Regelungen in einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag getroffen sind.
Ob diese Ansicht zutrifft, ist zweifelhaft. Nach der Rechtsprechung des BAG knüpft der Anspruch auf Zahlung der Vergütung nach §611a Abs.2 BGB an die Leistung fremdbestimmter Arbeit an. „Arbeit“ in diesem Sinne ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. Die Testung kann als Erfüllung einer Arbeitgeberpflicht aus §618 Abs.1 BGB angesehen werden, für den Gesundheitsschutz der Beschäftigten zu sorgen. Der sich testende Beschäftigte wird dabei auch fremdnützig für den Arbeitgeber tätig; denn der Test soll bei einem positiven Ergebnis die anderen Beschäftigten vor Kontakt mit dem als infektiös identifizierten Beschäftigten schützen. Ebenso wie beim Anziehen von Sicherheitsschuhen kann die Zeit der Testung als Arbeitszeit angesehen werden.
Pflicht zu Testangeboten
Die Einführung einer gesetzlichen Verpflichtung anstelle der von den Arbeitgeberverbänden erklärten freiwilligen Selbstverpflichtung der Wirtschaft wird in der Kabinettsvorlage damit begründet, dass nur ca. 60% der Beschäftigten aufgrund der Selbstverpflichtung von ihren Arbeitgebern ein entsprechendes Angebot unterbreitet worden sei. Deshalb sei es auch zur Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen für alle Betriebe geboten, den Arbeitgebern, die sich nicht an der freiwilligen Testung beteiligen, die Testpflicht aufzuerlegen.
angelehnt an und zitiert aus: Düwell, jurisPR-ArbR 16/2021 Anm. 1
Newsletter 04/2021-II: Verfall des tariflichen (Mehr)Urlaubsanspruchs bei fehlender tariflicher Regelung
Die Tarifvertragsparteien sind berechtigt, aber nicht verpflichtet, im Hinblick auf den tariflichen Mehrurlaub vom Bundesurlaubsgesetz abweichende Regelungen zu treffen. Haben die Tarifvertragsparteien von ihrer Regelungsbefugnis keinen Gebrauch gemacht, gelten die gesetzlichen Befristungsvorschriften auch für den tariflichen Mehrurlaub.
A.Problemstellung
Neben dem gesetzlichen Mindesturlaub stehen Arbeitnehmern regelmäßig weitere Urlaubstage zu, z.B. aufgrund eines Tarifvertrags. Während für den gesetzlichen Mindesturlaub umfangreiche zwingende Regelungen gelten, können Tarifvertragsparteien für tariflichen Mehrurlaub abweichende Regelungen treffen, z.B. zum Befristungsregime. Verzichten sie darauf, gelten die Befristungsvorschriften für den gesetzlichen Mindesturlaub auch für den tariflichen Mehrurlaub.
B.Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten noch um die Abgeltung von zehn Tagen tariflichen Mehrurlaubs aus dem Jahr 2015. Der Kläger war von 1992 bis Juni 2017 bei der Beklagten beschäftigt, für das Arbeitsverhältnis galt der Manteltarifvertrag für die privaten und öffentlichen Banken (MTV). Dieser sah vor, dass der Urlaub abzugelten ist, wenn er vor dem Ausscheiden nicht mehr genommen werden kann; aus anderen Gründen durfte der Erholungsurlaub nicht durch Zahlung abgegolten werden. Günstigere gesetzliche Regelungen sollten unberührt bleiben.
Das BAG hat entgegen den für den Kläger erfolgreichen Entscheidungen der Vorinstanzen das Urteil des LArbG München vom 16.01.2019 (8 Sa 348/18) aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Nach Auffassung des BAG lassen die getroffenen Feststellungen nicht den Schluss zu, dass die Beklagte zur Abgeltung von Urlaub verpflichtet ist. Zwar sei das Landesarbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der MTV keine Befristungsregelung für die Inanspruchnahme des Urlaubs vorsehe. § 15 Nr. 1 Satz 1 MTV lege zwar das Kalenderjahr als Bezugszeitraum des Urlaubsanspruchs fest, eine Befristungsregelung liege hierin aber nicht. Soweit die Tarifvertragsparteien in § 15 MTV vom BUrlG abweichende Regelungen getroffen haben, werde sichergestellt, dass günstigere gesetzliche Regelungen unberührt bleiben. Daraus ziehe das Landesarbeitsgericht die Schlussfolgerung, dass dem Arbeitnehmer ein unbefristeter Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub zustehe.
Das sei jedoch unzutreffend. Die unterlassene Regelung einer Befristung im MTV führe dazu, dass der tarifliche Mehrurlaub demselben Befristungsregime unterliege wie der gesetzliche Mindesturlaub. Die Tarifvertragsparteien seien zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet, im Hinblick auf den tariflichen Mehrurlaub vom Bundesurlaubsgesetz abweichende Regelungen zu treffen. Haben die Tarifvertragsparteien von ihrer Regelungsbefugnis keinen Gebrauch gemacht, greifen die gesetzlichen Befristungsvorschriften auch für den tariflichen Mehrurlaub ein. Gleiches gelte für die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Der Arbeitgeber müsse konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge tragen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage sei, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen; dies schließe insbesondere eine ggf. förmliche Aufforderung, den Urlaub zu nehmen, und eine Mitteilung über den ansonsten drohenden Verfall des Urlaubs ein.
C.Kontext der Entscheidung
Das BAG bestätigt seine bisherige Rechtsprechung, dass Tarifvertragsparteien Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigen, frei regeln können. Dies schließt die Befugnis ein, zu bestimmen, dass der tarifliche Mehrurlaub am Ende des Jahres oder des Übertragungszeitraums verfällt, ohne dass der Arbeitgeber zuvor seinen Mitwirkungsobliegenheiten, wie sie für den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch gelten, entspricht (BAG, Urt. v. 19.02.2019 - 9 AZR 541/15).
Liegen eigenständige Regelungen der Tarifvertragsparteien vor, wirkt sich dies auch auf die Initiativlast im Prozess aus. Das BAG hat entschieden, dass, wenn ein Tarifvertrag den Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub eigenständig befristet und zudem verlangt, dass der Mehrurlaub zur Vermeidung seines Verfalls vor einem bestimmten Termin geltend gemacht werden muss, der Arbeitnehmer abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG regelmäßig die Initiativlast für die Verwirklichung des Mehrurlaubsanspruchs trägt (BAG, Urt. v. 25.08.2020 - 9 AZR 214/19).
D.Auswirkungen für die Praxis
Die Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung ist zu begrüßen. Es bleibt abzuwarten, ob die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit nutzen, den Verfall tariflichen Mehrurlaubs abweichend vom gesetzlichen Mindestanspruch zu regeln. Für die Rechtssicherheit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern wäre eine ausdrückliche Positionierung zumindest wünschenswert. Liegt diese nicht vor, gelten im Zweifel für den gesetzlichen Urlaubsanspruch und den Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub die gleichen Verfallsregelungen. Arbeitgeber sollten daher in diesem Fall ihren Hinweis auf den drohenden Verfall des Urlaubs ausdrücklich auch auf den tariflichen Mehrurlaub beziehen.
zitiert aus: Rüschenbaum, jurisPR-ArbR 15/2021 Anm. 2
Newsletter 01/2021-I: Keine halbierten Nachtarbeitszuschläge für Schichtarbeit
BAG Nr. 47/2020 v. 09.12.2020
Keine halbierten Nachtarbeitszuschläge für Schichtarbeit
Das BAG hat entschieden, dass eine Regelung in einem Tarifvertrag, nach der sich der Zuschlag für Nachtarbeit halbiert, wenn sie innerhalb eines Schichtsystems geleistet wird, gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen kann.
Die Beklagte betreibt eine Brauerei. Der Kläger leistet dort Schichtarbeit. Nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Brauereien und deren Niederlassungen in Hamburg und Schleswig-Holstein ist für Arbeit in der Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr ein Zuschlag von 25% zum Stundenentgelt zu zahlen. Für Nachtarbeit, die in demselben Zeitraum außerhalb eines Schichtsystems erbracht wird, sieht der Tarifvertrag einen Zuschlag von 50% vor. Der Kläger meinte, die Halbierung des Zuschlags für Nachtschichtarbeit widerspreche den gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnissen. Danach gehen von regelmäßiger Nachtschichtarbeit erheblich gravierendere Gesundheitsgefahren aus als von gelegentlich geleisteter Nachtarbeit. Mit seiner Klage wollte der Kläger festgestellt wissen, dass die Beklagte den Zuschlag von 50% auch für die Nachtschicht zu zahlen hat. Die Beklagte hielt die Tarifnorm für wirksam. Der höhere Zuschlag solle eine besondere Belastung der unvorbereitet zu Nachtarbeit herangezogenen Arbeitnehmer ausgleichen. Sie büßten die Dispositionsmöglichkeit über ihre Freizeit in der entsprechenden Nacht ein.
Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen.
Das BAG hat der dagegen gerichteten Revision des Klägers stattgegeben.
Nach Auffassung des BAG sind Nachtarbeitnehmer und Nachtschichtarbeitnehmer miteinander vergleichbar. Nach dem Manteltarifvertrag sei bei der Durchführung von Nachtarbeit außerhalb von Schichtsystemen auf private und kulturelle Wünsche der Beschäftigten weitgehend Rücksicht zu nehmen. Der höhere Zuschlag für Nachtarbeitnehmer könne daher nicht den Zweck haben, ihre Freizeit vor Eingriffen durch den Arbeitgeber zu schützen. Andere sachliche Gründe, die die schlechtere Behandlung der Nachtschichtarbeitnehmer rechtfertigen könnten, ließen sich dem Manteltarifvertrag nicht entnehmen. Der Kläger könne den höheren Zuschlag verlangen, um mit den nicht regelmäßig nachts Arbeitenden gleichbehandelt zu werden (sog. Anpassung nach oben).
Vorinstanz
LArbG Hamburg, Urt. v. 18.06.2020 - 1 Sa 6/20
Das BAG hat der Klage auch in dem Parallelverfahren (10 AZR 335/20) stattgegeben.
Quelle: Pressemitteilung des BAG Nr. 47/2020 v. 09.12.2020
Newsletter 01/2021-II: Corona-Arbeitsschutzverordnung: Homeoffice-Pflicht für Arbeitgeber bis 15.03.2021
Corona-Arbeitsschutzverordnung: Homeoffice-Pflicht für Arbeitgeber bis 15.03.2021
Das Bundeskabinett hat am 20.01.2021 eine Corona-Arbeitsschutzverordnung beschlossen, die Unternehmen bis zunächst zum 15.03.2021 verpflichtet, ihren Beschäftigten das Arbeiten von zu Hause aus zu ermöglichen, soweit die Tätigkeit es zulässt.
Pflicht eines Homeoffice-Angebots
Die Verordnung führt folgende Neuerungen ein - zunächst befristet bis zum 15.03.2021:
• Arbeitgeber sind verpflichtet, Homeoffice anzubieten. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten das Angebot annehmen, soweit sie können.
• Es gelten strengere betriebliche Arbeitsschutzregelungen für Abstände und Mund-Nasen-Schutz:
• Müssen Räume von mehreren Personen gleichzeitig genutzt werden, müssen pro Person 10 m² zur Verfügung stehen.
• In Betrieben ab zehn Beschäftigten müssen diese in möglichst kleine, feste Arbeitsgruppen eingeteilt werden.
• Arbeitgeber müssen mindestens medizinische Gesichtsmasken zur Verfügung stellen.
Bisherige Schutzmaßnahmen gelten weiter
Zudem gelten die derzeitigen Arbeitsschutzregelungen uneingeschränkt weiter. Arbeitgeber sind gehalten, die Kontakte im Betrieb möglichst zu reduzieren. Dazu gehören die bereits angeordneten Maßnahmen:
• Betriebe müssen die Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 Metern zu anderen Personen gewährleisten, auch in Kantinen- und Pausenräumen.
• Wo Begegnungen stattfinden, müssen Beschäftigte Mund-Nasen-Schutz tragen, soweit dies möglich ist.
• In Sanitärräumen müssen Arbeitgeber auch Flüssigseife und Handtuchspender bereitstellen.
• Regelmäßiges Lüften muss gewährleistet sein.
Keine Pflicht für Arbeitnehmer zum Wechsel ins Homeoffice
Eine umgekehrte Pflicht für Beschäftigte, ins Homeoffice zu wechseln, wenn sie dies nicht möchten, gibt es dagegen nicht. Grund hierfür ist laut BMAS zum einen, dass Arbeitgeber nicht auf den privaten Wohnraum des Beschäftigten, als ausgelagerte "Bürofläche", zurückgreifen können und dass das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung einer solchen Verpflichtung entgegensteht. Zum anderen gebe es zahlreiche weitere Sachgründe (kein geeigneter Bildschirmarbeitsplatz, räumliche Enge), die einer solchen Verpflichtung der Beschäftigten entgegenstehen können.
Die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung tritt am fünften Tag nach der Verkündung in Kraft. Diese Zeit steht dem Arbeitgeber zur Vorbereitung der Umsetzung zur Verfügung.
Quelle: Website des BMAS v. 21.01.2021
Newsletter 01/2021-III: Gesetzliche Änderungen und Neuregelungen im Arbeits- und Sozialrecht ab 2021
Gesetzliche Änderungen und Neuregelungen im Arbeits- und Sozialrecht ab 2021
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat eine Übersicht über die wesentlichen Änderungen und Neuregelungen zusammengestellt, die zum Jahresbeginn und im Laufe des Jahres 2021 in seinem Zuständigkeitsbereich wirksam werden.
1. Arbeitsmarktpolitik, Arbeitslosenversicherung und Grundsicherung für Arbeitsuchende
a) Beschäftigungssicherungsgesetz
Kurzarbeitergeld:
Die Regelung zur Erhöhung des Kurzarbeitergeldes (auf 70/77% ab dem vierten Monat und auf 80/87% ab dem siebten Monat) wird bis zum 31.12.2021 verlängert werden für alle Beschäftigten, deren Anspruch auf Kurzarbeitergeld bis zum 31.03.2021 entstanden ist. Zudem werden die bestehenden befristeten Hinzuverdienstregelungen insoweit bis zum 31.12.2021 verlängert werden, als Entgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung, die während der Kurzarbeit aufgenommen wurde, anrechnungsfrei bleibt.
Darüber hinaus wird der Anreiz, Zeiten des Arbeitsausfalls für die berufliche Weiterbildung zu nutzen, dadurch weiter gestärkt, dass die für diese Fälle geregelte hälftige Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr daran geknüpft wird, dass die Qualifizierung mindestens 50% der Zeit des Arbeitsausfalls betragen muss. Neben der hälftigen Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge werden für während der Kurzarbeit begonnene Weiterbildungsmaßnahmen zudem Lehrgangskosten pauschal in Abhängigkeit der Betriebsgröße erstattet:
- Betriebe mit weniger als zehn Beschäftigten 100% der Lehrgangskosten,
- Betriebe mit zehn bis 249 Beschäftigen 50% der Lehrgangskosten,
- Betriebe mit 250 bis 2.499 Beschäftigten 25% der Lehrgangskosten und
- Betriebe mit 2.500 und mehr Beschäftigten 15% der Lehrgangskosten.
Voraussetzung ist, dass die Weiterbildungsmaßnahme mehr als 120 Stunden dauert und die Maßnahme und der Träger der Maßnahme nach dem SGB III zertifiziert sind. Für Maßnahmen nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, die während der Kurzarbeit begonnen werden, können für die Zeit der Kurzarbeit auch die Sozialversicherungsbeiträge zur Hälfte erstattet werden.
Insolvenzgeld:
Der Umlagesatz für das Insolvenzgeld wird für das Kalenderjahr 2021 auf 0,12% festgelegt.
Arbeitslosengeld:
Es wird eine befristete Sonderregelung zur Bemessung des Arbeitslosengeldes eingeführt, wenn das Arbeitsentgelt zuletzt wegen einer Beschäftigungssicherungsvereinbarung vermindert war. Arbeitnehmer, die trotz einer Beschäftigungssicherungsvereinbarung ihre Arbeit verlieren, haben damit keine Nachteile bei der Höhe des Arbeitslosengeldes. Im Fall der Arbeitslosigkeit wird für Beschäftigungszeiten bis Ende des Jahres 2022 bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes das Arbeitsentgelt zugrunde gelegt, das ohne die Beschäftigungssicherungsvereinbarung erzielt worden wäre.
b) Zweite Verordnung über die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld
Die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld wird für Betriebe, die bis zum 31.12.2020 mit Kurzarbeit begonnen haben, auf bis zu 24 Monate, längstens bis zum 31.12.2021, verlängert.
c) Erste Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldverordnung
Verlängerung der Sonderregelungen über den erleichterten Zugang, nach denen
- statt mindestens 1/3 nur mindestens 10% der Belegschaft eines Betriebs von einem Entgeltausfall betroffen sein müssen,
- keine negativen Arbeitszeitsalden aufzubauen sind,
bis zum 31.12.2021 für alle Betriebe, die bis zum 31.03.2021 mit der Kurzarbeit begonnen haben.
Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge:
- Vollständige Erstattung der SV-Beiträge bis 30.06.2021.
- Anschließend hälftige Erstattung längstens bis zum 31.12.2021 für alle Betriebe, die bis 30.06.2021 mit Kurzarbeit begonnen haben.
- Die hälftige Erstattung der SV-Beiträge kann in diesen Fällen durch Qualifizierung während Kurzarbeit bis 31.12.2021 auf 100% erhöht werden.
Verlängerung der Möglichkeit, dass auch Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer Kurzarbeitergeld beziehen können, bis zum 31.12.2021 für Verleihbetriebe, die bis zum 31.03.2021 mit der Kurzarbeit begonnen haben.
d) Sechste Verordnung zur Änderung der Beschäftigungsverordnung
Die sog. Westbalkanregelung wird bis Ende 2023 verlängert. Dies ermöglicht den Staatsangehörigen von Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien, dass sie unabhängig von einer formalen Qualifikation zur Erwerbstätigkeit nach Deutschland einreisen dürfen. Die Bundesagentur für Arbeit muss zustimmen. Neu eingeführt wird ein Kontingent für bis zu 25.000 Personen jährlich.
e) Zweite Verordnung zur Änderung der Beschäftigungsverordnung und der Aufenthaltsverordnung
Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland wird in die Liste der Staaten in § 26 Abs. 1 der Beschäftigungsverordnung aufgenommen. Damit erhalten britische Staatsangehörige, die ab dem 01.01.2021 nach Deutschland einreisen, einen erleichterten Arbeitsmarktzugang. Sie können jede Beschäftigung unabhängig von einer Qualifikation und vom Sitz des Arbeitgebers ausüben. Die Bundesagentur für Arbeit muss zustimmen. Außerdem wird das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland in die Liste der Staaten in § 41 Abs. 1 der Aufenthaltsverordnung aufgenommen. Britische Staatsangehörige dürfen damit auch dann visumfrei einreisen, wenn sie einen längerfristigen Aufenthalt in Deutschland planen, z.B. zu Erwerbszwecken.
f) Neue Regelbedarfe in der Grundsicherung für Arbeitsuchende
Ab dem 01.01.2021 gelten neue Regelbedarfe in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe der vergleichbaren Regelbedarfsstufen (RBS) nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch:
- für alleinstehende und alleinerziehende Leistungsberechtigte 446 Euro (RBS 1)
- für zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, jeweils:
401 Euro (RBS 2) - für sonstige erwerbsfähige Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft, sofern sie das 18. Lebensjahr vollendet haben bzw. für erwachsene Leistungsberechtige unter 25 Jahren, die ohne Zusicherung des Jobcenters umziehen: 357 Euro (RBS 3)
- für Jugendliche im 15. Lebensjahr bis unter 18 Jahre: 373 Euro (RBS 4)
- für Kinder vom Beginn des 7. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres: 309 Euro (RBS 5)
- für Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres: 283 Euro (RBS 6)
Des Weiteren ist der Zeitraum für den vereinfachten Zugang zu den Grundsicherungssystemen bis zum 31.03.2021 verlängert worden (Gleiches gilt für die Besonderheiten beim Schulmittagessen).
g) Arbeit-von-morgen-Gesetz
Vereinfachte Weiterbildungsförderung Beschäftigter durch die Agenturen für Arbeit
Das Förderverfahren für berufliche Weiterbildungen wird für Arbeitgeber und ihre Beschäftigten vereinfacht und erleichtert. Bedürfen aufgrund des technologischen Strukturwandels eine größere Anzahl von Arbeitnehmern eines Betriebes eine berufliche Weiterbildung, ist anders als bisher, nicht mehr für jeden einzelnen Beschäftigten ein Förderantrag notwendig. Vielmehr kann der Arbeitgeber mit Einverständnis seiner Beschäftigten oder des Betriebsrats die Förderleistungen nunmehr grundsätzlich auch nur mit einem Antrag bei der Agentur für Arbeit stellen. Der Arbeitgeber erhält hierbei eine Bewilligung über die Gesamtleistung, mit der die entstehenden Qualifizierungskosten seiner Beschäftigten gefördert wird. Die Neuregelung trägt dazu bei, die Einrichtung und Durchführung beruflicher Weiterbildung in den Betrieben sowie die Förderverfahren und -entscheidungen zu vereinfachen und zu beschleunigen.
2. Arbeitsrecht, Arbeitsschutz, Tarifautonomie, Mindestlohn
a) Verlängerung der Möglichkeit zur Nutzung von Video- und Telefonkonferenzen sowie audiovisueller Einrichtungen für Versammlungen
Die Möglichkeit zur Nutzung von Video- und Telefonkonferenzen für Betriebsräte und weitere Mitbestimmungsgremien, für Heimarbeitsausschüsse und Werkstatträte in Werkstätten für behinderte Menschen ist über den 31.12.2020 hinaus bis zum 30.06.2021 verlängert worden. Entsprechendes gilt für die Möglichkeit, Versammlungen mittels audiovisueller Einrichtungen abzuhalten.
b) Gesetzlicher Mindestlohn
Der gesetzliche Mindestlohn beträgt ab dem 01.01.2021 brutto 9,50 Euro und ab dem 01.07.2021 brutto 9,60 Euro je tatsächlich geleisteter Arbeitsstunde. Die mit der Dritten Mindestlohnanpassungsverordnung vom 09.11.2020 beschlossenen Anhebungen beruhen auf dem entsprechenden Vorschlag der Mindestlohnkommission vom 30.06.2020.
3. Sozialversicherung, Rentenversicherung und Sozialgesetzbuch
a) Mitgliedsbescheinigung der Krankenkassen
Bei Neuaufnahme einer Beschäftigung und bei Wechsel der Krankenkasse muss der Beschäftigte seinem Arbeitgeber (oder dessen Bevollmächtigten) bislang eine Mitgliedsbescheinigung der Krankenkasse vorlegen, in der der Beschäftigte versichert ist. Ab dem 01.01.2021 entfällt die Pflicht zur Vorlage dieser Bescheinigung in Papierform. Zukünftig hat der Beschäftigte bei Aufnahme der Beschäftigung bzw. beim Wechsel der Krankenkasse seine Krankenkasse beim Arbeitgeber anzugeben. Der Arbeitgeber hat dann die Möglichkeit, die Richtigkeit der Angaben durch ein elektronisches Abfrageverfahren kurzfristig seitens der Krankenkasse bestätigt zu bekommen.
Das mit dem Siebten SGB IV-Änderungsgesetz geregelte elektronische Verfahren spart Kosten bei Bürgern, Verwaltung und Wirtschaft. Die bestehenden Wahlrechte des Arbeitnehmers zur Wahl seiner Krankenkasse werden davon nicht berührt.
b) Gesetzliche Unfallversicherung
Zum 01.01.2021 treten folgende Änderungen im Berufskrankheitenrecht in Kraft:
- Wegfall des Unterlassungszwangs (Aufgabe der schädigenden Tätigkeit) bei den davon betroffenen neun Berufskrankheiten verbunden mit einer Ausdehnung der Mitwirkungspflichten bei Präventionsmaßnahmen.
- Rechtliche Verankerung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten.
- Einheitliche gesetzliche Regelung zur Anerkennung von Bestandsfällen bei neuen Berufskrankheiten.
- Rechtliche Verankerung und Ausbau von bestehenden Instrumenten zur Beweiserleichterung wie Arbeitsplatz- und Gefährdungskataster.
- Mehr Transparenz und Anreize zur Berufskrankheitenforschung durch öffentliche Berichterstattung der Unfallversicherung.
Außerdem treten die neuen pauschalen Regelungen zur Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes für jüngere oder in Ausbildung befindliche Versicherte in Kraft.
c) Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung
Der Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung beträgt ab dem 01.01.2021 weiterhin 18,6% in der allgemeinen Rentenversicherung und 24,7% in der knappschaftlichen Rentenversicherung.
d) Anhebung der Altersgrenzen
Im Jahr 2012 startete die Anhebung des Renteneintrittsalters. Im Zuge der schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters in der gesetzlichen Rentenversicherung ("Rente mit 67") steigen die Altersgrenzen um einen weiteren Monat. Versicherte, die 1955 bzw. 1956 geboren sind und für die keine Vertrauensschutzregelungen gelten, erreichen die Regelaltersgrenze mit 65 Jahren und neun Monaten bzw. mit 65 Jahren und zehn Monaten.
Für die folgenden Geburtsjahrgänge erhöht sich die Regelaltersgrenze zunächst um je einen weiteren Monat; später wird in Stufen von zwei Monaten pro Jahrgang angehoben. Erst für die Jahrgänge 1964 und jünger wird die Regelaltersgrenze bei 67 Jahren liegen.
e) Verbesserte Absicherung bei Erwerbsminderung
Wer in jüngeren Jahren vermindert erwerbsfähig wird, hat in der Regel noch keine ausreichenden Rentenanwartschaften aufbauen können. Damit die Versicherten dennoch eine angemessene Sicherung erhalten, werden Bezieher einer Erwerbsminderungsrente so gestellt, als hätten diese über den Eintritt der Erwerbsminderung hinaus so weitergearbeitet, wie zuvor (Zurechnungszeit). Die Zurechnungszeit wurde im Jahr 2019 durch das Gesetz über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz) in einem Schritt auf 65 Jahre und acht Monate angehoben. Für die Rentenzugänge ab dem Jahr 2020 wird sie in Anlehnung an die Anhebung der Regelaltersgrenze bis zum Jahr 2031 schrittweise bis auf 67 Jahre verlängert. Bei einem Beginn der Erwerbsminderungsrente im Jahr 2021 endet die Zurechnungszeit mit 65 Jahren und zehn Monaten.
f) Grundrente
Zum 01.01.2021 tritt die Grundrente in Kraft. Dabei handelt es sich um einen Zuschlag zur individuellen Rente für diejenigen, die jahrzehntelang wenig verdient und verpflichtend Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt haben. Rund 1,3 Mio. Rentnerinnen und Rentner werden davon profitieren. Vor allem betrifft das Frauen, die häufig in weniger gut bezahlten Berufen gearbeitet haben oder der Familie wegen nur in Teilzeit tätig waren. Auch viele Rentner in Ostdeutschland haben besonders lange zu niedrigen Löhnen gearbeitet. Der durchschnittliche Zuschlag beträgt aktuell etwa 75 Euro brutto, der höchstmögliche Zuschlag kann rund 418 Euro betragen.
Anspruch auf einen Grundrentenzuschlag besteht, wenn mindestens 33 Jahre Grundrentenzeiten vorhanden sind. Das sind v.a. Pflichtbeiträge aus Beschäftigung oder Selbständigkeit sowie anerkannte Zeiten der Kindererziehung und Pflege. Bei 35 Jahren oder mehr Grundrentenzeiten muss der Verdienst bezogen auf das gesamte Versicherungsleben im Durchschnitt unter 80% des Durchschnittsverdienstes in Deutschland betragen haben. Im Einstiegsbereich ab 33 Jahren Grundrentenzeiten sind es zwischen 40% und 80%. Eigenes Einkommen und Partnereinkommen oberhalb bestimmter Freibeträge wird auf den Grundrentenzuschlag angerechnet.
Für die Grundrente muss kein Antrag gestellt werden. Die Deutsche Rentenversicherung prüft bis Ende 2022 automatisch etwa 26 Mio. Bestandsrenten und zahlt den Grundrentenzuschlag rückwirkend aus. Mit der Auszahlung der ersten Zuschläge ist voraussichtlich ab Mitte 2021 zu rechnen.
g) Künstlersozialversicherung
Der Abgabesatz der Künstlersozialabgabe bleibt weiterhin ab 01.01.2021 bei 4,2%.
h) Sozialversicherungsrechengrößen
Mit der Verordnung über die Sozialversicherungsrechengrößen 2021 wurden die maßgeblichen Rechengrößen der Sozialversicherung gemäß der Einkommensentwicklung im vergangenen Jahr (2019) turnusgemäß angepasst. Das Verordnungsverfahren und die Festlegung der Werte erfolgen in sich jährlich wiederholender Routine auf Grundlage gesetzlicher Bestimmungen.
Rechengrößen der Sozialversicherung 2021 (West / Ost / Monat / Jahr):
Beitragsbemessungsgrenze:
- Allgemeine Rentenversicherung: 7.100 Euro / 85.200 Euro / 6.700 Euro / 80.400 Euro
- Knappschaftliche Rentenversicherung: 8.700 Euro / 104.400 Euro / 8.250 Euro / 99.000 Euro
- Arbeitslosenversicherung: 7.100 Euro / 85.200 Euro / 6.700 Euro / 80.400 Euro
- Kranken- u. Pflegeversicherung: 4.837,50 Euro / 58.050 Euro / 4.837,50 Euro / 58.050 Euro
Versicherungspflichtgrenze:
- Kranken- u. Pflegeversicherung: 5.362,50 Euro / 64.350 Euro / 5.362,50 Euro / 64.350 Euro
i) Mindestbeitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung
Der Mindestbeitrag zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 01.01.2021 beträgt 83,70 Euro monatlich.
j) Alterssicherung der Landwirte
Der Beitrag in der Alterssicherung der Landwirte wird für das Kalenderjahr 2021 monatlich 258 Euro (West) bzw. 245 Euro (Ost) betragen.
Ab dem 01.04.2021 werden außerdem Unternehmerinnen und Unternehmer von landwirtschaftlichen Klein- und Mittelbetrieben bei ihrer Alterssicherung stärker finanziell entlastet.
Neu ist, dass die bisherigen Einkommensgrenzen für einen Anspruch auf einen Beitragszuschuss von bisher 15.500 Euro bzw. 31.000 Euro für Verheiratete auf 60% der Bezugsgröße in der Sozialversicherung erhöht und damit dynamisch ausgestaltet werden. 2021 liegt die Einkommensgrenze bei 23.680 Euro bzw. 47.360 Euro für Verheiratete.
Den höchsten Zuschuss i.H.v. 60% des Beitrags werden zudem künftig Unternehmerinnen und Unternehmer erhalten, die ein Jahreseinkommen von 30% der Bezugsgröße – das wären 2021 11.844 Euro – erzielen. Bisher betrug diese Grenze 8.220 Euro.
k) Faktor F 2021 im Übergangsbereich
Ab dem 01.01.2020 gilt für Beschäftigte im Übergangsbereich 450,01 Euro bis 1300,00 Euro Entgelt im Monat der neue Faktor F 0,7509.
l) Sachbezugswerte 2021
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat jährlich den Wert der Sachbezüge nach dem tatsächlichen Verkehrswert im Voraus anzupassen und dabei eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen. Die Werte für Verpflegung und Unterkunft werden daher jährlich an die Entwicklung der Verbraucherpreise angepasst. Der Verbraucherpreisindex ist im maßgeblichen Zeitraum von Juni 2019 bis Juni 2020 um 2,1 Prozentpunkte gestiegen. Auf dieser Grundlage wurde der Wert für Verpflegung von 258 Euro auf 263 Euro (Frühstück auf 55 Euro, Mittag- und Abendessen auf jeweils 104 Euro) angehoben. Der Wert für Mieten und Unterkunft erhöhen sich um ein Prozent von 235 Euro auf 237 Euro.
m) Hinzuverdienstgrenze bei Altersrenten
In Anbetracht der aktuellen Entwicklung der Corona-Krise und den damit verbundenen zukünftigen Herausforderungen wird die befristete Anhebung der kalenderjährlichen Hinzuverdienstgrenze für Altersrenten vor Erreichen der Regelaltersgrenze auf der Grundlage der aktuellen Werte um ein Jahr verlängert und gilt somit auch für das Kalenderjahr 2021. Dadurch ist sichergestellt, dass weiterhin einem Durchschnittsverdiener mit zwei jährlichen Sonderzahlungen ein Hinzuverdienst ermöglicht wird, ohne dass es zu einer Anrechnung des Hinzuverdiensts auf die Rente wegen Alters kommt. Für das Jahr 2021 beträgt die kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze 46.060 Euro (in 2020: 44.590 Euro). Der sog. Hinzuverdienstdeckel ist weiterhin nicht anzuwenden.
Bei vorzeitigen Altersrenten in der Alterssicherung der Landwirte werden die Hinzuverdienstgrenzen für das Jahr 2021 erneut ausgesetzt werden.
Gesetz zur Verbesserung der Transparenz in der Alterssicherung und der Rehabilitation sowie zur Modernisierung der Sozialversicherungswahlen und zur Änderung anderer Gesetze
Digitale Rentenübersicht:
Die Digitale Rentenübersicht wird jedem Bürger eine Übersicht über den Stand der individuellen Ansprüche der gesetzlichen, betrieblichen und privaten Altersvorsorge geben, auf einen Blick und digital abrufbar über ein Portal.
Mit dem Gesetz werden die notwendigen rechtlichen Grundlagen zur Entwicklung und Einführung der Digitalen Rentenübersicht geschaffen. Nach Inkrafttreten des Gesetzes voraussichtlich im Januar 2021 wird die Digitale Rentenübersicht entwickelt, 21 Monate später wird dann die erste Betriebsphase mit freiwillig teilnehmenden Vorsorgeeinrichtungen beginnen. Dann wird das Portal für die Digitale Rentenübersicht den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stehen.
Sozialversicherungswahlen:
Die Sozialversicherungswahlen werden moderner und die Selbstverwaltung wird gestärkt. Die Rahmenbedingungen für die Ehrenamtlichen werden verbessert, indem ein ausdrücklicher Anspruch auf Freistellung sowie ein Anspruch auf Fortbildung eingeführt wird. Durch das Absenken der Zahl der notwendigen Unterstützerunterschriften für Vorschlagslisten soll der Zugang zu den Gremien bzw. Wahlen erleichtert werden. Mehr Transparenz schafft die Neuregelung, dass die Listenaufstellungsverfahren dokumentiert werden müssen. Um den Anteil von Frauen in den Vertreterversammlungen und Vorständen der Renten- und Unfallversicherungsträger zu erhöhen, sollen Frauen bei der Aufstellung einer Vorschlagsliste künftig zu mindestens 40% berücksichtigt werden. Bei den entsprechenden Organen der Krankenkassen gibt es bereits eine verpflichtende Quote von 40%. Zudem sollen künftig die Bundeswahlbeauftragten über die Arbeit der Selbstverwaltungsorgane unterrichten, um die Öffentlichkeit besser zu informieren und die Wahlbeteiligung zu steigern.
Beschaffung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation:
Die Beschaffung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch die Träger der Rentenversicherung wird auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt. Maßgebliche Leitgedanken sind die im europäischen Vergaberecht festgelegten Grundsätze der Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Nichtdiskriminierung. Regelungen, die zunächst durch die Deutschen Rentenversicherung Bund näher ausgestaltet werden müssen, treten zum 01.07.2023 in Kraft. Zudem wird der Anspruch auf Übergangsgeld dahingehend modifiziert, dass er in angemessenem Verhältnis zum Umfang der in Anspruch genommenen Leistungen zur Prävention und Teilhabe steht.
Das Gesetz wird voraussichtlich im Januar 2021 im Bundesgesetzblatt verkündet.
4. Teilhabe, Belange von Menschen mit Behinderungen, Soziale Entschädigung, Sozialhilfe, Asylbewerberleistungsgesetz
a) Höhere Regelbedarfe in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch
Ab dem 01.01.2021 gelten neue Regelbedarfe in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII):
- für jede erwachsene Person, die in einer Wohnung lebt und für die nicht Regelbedarfsstufe 2 gilt: 446 Euro (RBS 1)
- für jede erwachsene Person, wenn sie in einer Wohnung mit einem Ehegatten oder Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft mit einem Partner zusammenlebt, oder wenn sie in der sogenannten besonderen Wohnform lebt: 401 Euro (RBS2)
- für eine stationär untergebrachte erwachsene Person: 357 Euro (RBS 3)
- für eine Jugendliche oder einen Jugendlichen vom Beginn des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres: 373 Euro (RBS 4)
- für ein Kind vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres: 309 Euro (RBS 5)
- für ein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres: 283 Euro (RBS 6)
Des Weiteren ist der Zeitraum für den vereinfachten Zugang zu den Grundsicherungssystemen bis zum 31.03.2021 verlängert worden. Gleiches gilt für die Besonderheiten beim Schulmittagessen.
Mit dem Grundrentengesetz tritt zum 01.01.2021 ein neuer Freibetrag in Kraft. Wenn 33 Jahre Grundrenten- oder vergleichbare Zeiten erfüllt sind, können von der gesetzlichen Rente monatlich 100 Euro als Freibetrag behalten werden. Ist die Rente höher als 100 Euro, können vom übersteigenden Betrag zusätzlich 30% als Freibetrag berücksichtigt werden. Der Freibetrag ist auf einen Betrag von 50% der Regelbedarfsstufe 1 gedeckelt; ab dem 01.01.2021 sind das 223 Euro monatlich.
Der Freibetrag wird auch für die ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt als fürsorgerische Leistung der Sozialen Entschädigung zum 01.01.2021 eingeführt. Er ist auf einen Betrag von 0,65 des im Bundesversorgungsgesetz maßgeblichen Bemessungsbetrags gedeckelt, ab 01.01.2021 sind das 225 Euro monatlich.
b) Anpassung der Regelsätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
Entsprechend der Veränderung der Regelbedarfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) wurden auch die Regelsätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zum 01.01.2021 angepasst.
c) Verlängerung des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes
Das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) wurde im Rahmen des Regelbedarfsermittlungsgesetzes angepasst und bis zum 31.03.2021 verlängert. Ziel ist es, die soziale Infrastruktur z.B. infolge von weiteren lokalen oder bundesweiten Lockdowns in ihrem Bestand zu sichern. Wenn Anbieter sozialer Dienstleistungen pandemiebedingt ihre Leistungen nicht in üblicher Form erbringen können, erhalten sie mit dem SodEG finanzielle Zuschüsse. Dafür unterstützen die Anbieter in geeignetem und zumutbarem Umfang die Bewältigung der Pandemieauswirkungen vor Ort, in dem sie Arbeitskräfte, Räumlichkeiten und Sachmittel zur Verfügung stellen. Das SodEG bezieht sich auf alle sozialen Anbieter, die ihre Dienstleistungen auf Basis der Sozialgesetzbücher mit Ausnahme des SGB V und des SGB XI erbringen. Dazu zählen z.B. Reha-Kliniken, Reha-Zentren sowie Angebote in der Arbeitsmarktpolitik, Behindertenhilfe oder Frühförderstellen
d) Erhöhung der Ausgleichsabgabe
In Deutschland sind Unternehmen dazu verpflichtet schwerbehinderte Menschen einzustellen (gemäß § 154 SGB IX), wenn es im Unternehmen mindestens 20 Arbeitsplätze gibt. 5% der Arbeitsplätze müssen mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden. Erfüllt das Unternehmen diese Quote nicht, muss die Ausgleichsabgabe (gemäß § 160 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) entrichtet werden.
Zum 01.01.2021 erhöht sich die Ausgleichsabgabe, damit wirkt die Erhöhung erst im Jahr 2022, da diese für unbesetzte Arbeitsplätze im Jahr 2021 entrichtet wird. Für die Ausgleichsabgabe, die im Jahr 2021 für das Jahr 2020 zu entrichten ist, gelten noch die alten Sätze.
Erfüllungsquote ab dem 01.01.2021
- 3% bis unter 5% = 140 Euro
- 2% bis unter 3% = 245 Euro
- 0% bis unter 2% = 360 Euro
e) Erhöhung der Eigenbeteiligung für die unentgeltliche Beförderung
Schwerbehinderte Menschen, die in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, haben Anspruch darauf, im öffentlichen Personennahverkehr unentgeltlich befördert zu werden. Die Eigenbeteiligung für die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen erhöht sich jeweils zu dem Zeitpunkt, zu dem die nächste Neubestimmung der Beträge der Ausgleichsabgabe erfolgt.
- ab dem 01.01.2021(jährlich): 91 Euro
- ab dem 01.01.2021(halbjährlich): 46 Euro
f) Erhöhung des Betrages, bis zu dem Kinderbetreuungskosten übernommen werden
Der Betrag, bis zu dem bei Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben Kinderbetreuungskosten übernommen werden können (§ 74 Abs. 3 SGB IX), erhöht sich jeweils zu dem Zeitpunkt, zu dem die nächste Neubestimmung der Beträge der Ausgleichsabgabe erfolgt. Der neue monatliche Höchstbetrag für Kinderbetreuungskosten beträgt 180 Euro pro Kind. Die Erhöhung wird zum 01.01.2021 wirksam.
g) Werkstätten für behinderte Menschen: Erhöhung des Beitrags zur Kostendeckung der Interessenvertretung der Beschäftigten auf Bundesebene
Die Kosten, die durch die Interessenvertretung der Werkstatträte auf Bundesebene entstehen, trägt der zuständige Träger (§ 39 Abs. 4 Werkstätten-Mitwirkungsverordnung). Dieser überweist jeweils zum 1. Februar eines jeden Jahres 1,60 Euro für jeden Werkstattbeschäftigten, der sich am 1. Januar dieses Jahres in seiner Zuständigkeit befindet, an die Interessenvertretung der Werkstatträte auf Bundesebene. Dieser Betrag erhöht sich ebenfalls zu dem Zeitpunkt, zu dem die nächste Neubestimmung der Ausgleichsabgabe erfolgt. Die Erhöhung auf 1,81 Euro gilt ab dem 01.01.2021.
Newsletter 05/2020-I: Arbeitszeiterfassung mittels Fingerprint
ArbG Berlin 29. Kammer, Urteil vom 16.10.2019 - 29 Ca 5451/19
Die Arbeitszeiterfassung durch ein Zeiterfassungssystem mittels Fingerprint ist nicht erforderlich i.S.v. § 26 Abs. 1 BDSG und damit ohne Einwilligung der betroffenen Person nicht zulässig.
Problemstellung
Zunehmend wird neben herkömmlichen softwarebasierten Arbeitszeiterfassungssystemen in vielen Betrieben die Zeitbuchung mittels Fingerprint der Arbeitnehmer vollzogen. Hierdurch soll eine sichere Authentifizierung der Arbeitnehmer gewährleistet werden und Arbeitszeitbetrug, etwa durch das „Mitstempeln“ durch Kollegen, vorgebeugt werden. Das ArbG Berlin hatte zu entscheiden, ob eine solche Zeiterfassung mittels eines Fingerprint-Verfahrens ohne Einwilligung der Arbeitnehmer zulässig ist.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier durch den Arbeitgeber ausgesprochener Abmahnungen.
Der klagende Arbeitnehmer war bei der beklagten Arbeitgeberin seit 01.06.2007 als medizinisch-technischer Radiologieassistent („MTR“) tätig. Bislang erfolgte die Erfassung der geleisteten Arbeitszeiten der Belegschaft durch das händische Eintragen der geleisteten Arbeitszeiten, Überstunden bzw. der Einsatzwünsche in einen ausliegenden Dienstplan. Eine Kontrolle der eingetragenen Zeiten fand nicht statt. Im August 2018 führte die Arbeitgeberin flächendeckend die Zeiterfassung mittels Fingerprint im Betrieb ein, mit dem Hinweis, dass „ausschließlich die mittels der Zeiterfassung ermittelten Arbeitszeiten“ gelten würden und die eingetragenen Zeiten im Dienstplan „nicht mehr anerkannt“ würden.
Das eingeführte betriebliche Zeiterfassungssystem basierte auf dem Abgleich der Fingerabdrücke der Arbeitnehmer mit den im Zeiterfassungsterminal gespeicherten Daten bei der An- und Abmeldung. Hierfür wurden mittels eines Algorithmus die sog. Minutien (individuelle Fingerlinienverzweigungen) der Arbeitnehmer im Zeiterfassungsterminal gespeichert und zugeordnet. Aus den gespeicherten Minutiendatensätzen können die Fingerabdrücke der Mitarbeiter nicht wieder generiert werden. Auch wurde der Fingerabdruck als solcher nicht gespeichert.
Eine Einwilligung seitens der Arbeitnehmer wurde vor der Nutzung nicht eingeholt. Ebenfalls bestand keine Betriebsvereinbarung. In der Folgezeit weigerte sich der Arbeitnehmer, die Arbeitszeiterfassung zu nutzen und erhielt deshalb zwei Abmahnungen. Die Arbeitgeberin vertrat hierbei die Ansicht, dass eine Einwilligung der Arbeitnehmer nicht notwendig sei, da die Verarbeitung dieser Daten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich sei. Insbesondere seien andere Zeiterfassungssysteme manipulierbar. Ferner forderte die Beklagte den Kläger auf, sich einer für das gesamte MTR-Team organisierten betriebsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Die Untersuchungspflicht für den Kläger ergebe sich aus dem Anhang Teil 2 Abs. 1 Ziffer 3 Doppelbuchst. bb ArbMedVV, da er Tätigkeiten ausübe, bei denen es u.a. zu Kontakt mit Körperflüssigkeiten kommen könne. Dies verweigerte der Kläger, weshalb er auch abgemahnt wurde.
Das ArbG Berlin hat dem klagenden Arbeitnehmer Recht gegeben.
Nach Auffassung des Arbeitsgerichts ist die Nutzung des eingeführten Zeiterfassungssystems nicht von § 26 Abs. 3 BDSG erfasst. Die für § 26 Abs. 3 BDSG entscheidende „Erforderlichkeit“ liege nicht vor. Insbesondere biometrische Merkmale von Beschäftigten dürfe der Arbeitgeber nach § 26 Abs. 3 BDSG somit nur verarbeiten, wenn dies, nach einer dreistufigen Prüfung, für die Begründung, Durchführung oder Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich sei. Auch hinsichtlich der Gefahr von Missbrauch der bisherigen Zeiterfassung durch Falscheintragungen oder dem „Mitstempeln“ von Kollegen seien keine konkreten Umstände vorgetragen worden, welche „die Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme begründen [hätten] können“.
Auch die ausgesprochene Abmahnung hinsichtlich der Teilnahme an der betriebsärztlichen Untersuchung sei unwirksam, da die Voraussetzungen für die Untersuchungspflicht nach Anhang Teil 2 Abs. 1 Ziffer 3 Doppelbuchst. bb ArbMedVV nicht vorliegen, da erforderlich sei, „dass Tätigkeiten ausgeführt werden, bei denen es regelmäßig und in größerem Umfang zu Kontakt mit Körperflüssigkeiten, Körperausscheidungen oder Körpergewebe kommen kann“. Diese Voraussetzung liege bei der gegenständlichen Tätigkeit nicht vor.
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Auswirkungen für die Praxis
Die Praxisrelevanz von Arbeitszeiterfassungssystemen mittels Fingerprint ist nach wie vor als hoch einzustufen und wird von vielen Betrieben zunehmend angefragt und eingeführt. Die Entscheidung des ArbG Berlin sorgt in diesem Bereich nun für mehr Rechtssicherheit und ist zu begrüßen. Eine derartige Einführung lässt sich datenschutzkonform durch Einwilligung oder Kollektivvereinbarung darstellen, wirft aber Folgeproblematiken, wie etwa die notwendigerweise durchzuführende Datenschutz-Folgenabschätzung nach Art. 35 Abs. 1 DSGVO, auf.
zitiert aus: Brink/Joos, jurisPR-ArbR 19/2020 Anm. 3
Newsletter 05/2020-II: Vergütung von Pausenzeiten im Bergbau im Zusammenhang mit COVID-19
BAG 5. Senat, Urteil vom 11.12.2019 - 5 AZR 579/18
Pausenzeiten im Bergbau unter Tage i.S.d. §2 Abs.1 Satz 2 ArbZG sind vergütungspflichtig.
Orientierungssatz zur Anmerkung
Pausenzeiten sind auch bei Untertagearbeiten im Atommülllager zu vergüten, auch wenn das Bundesberggesetz für einen solchen Betrieb keine Anwendung findet.
Problemstellung
Die Organisation von Pausenzeiten ist im Moment ein sehr aktuelles Thema, weil in Zeiten „sozialer Distanz“ die bisherigen Raumgrößen für Pausenräume selten geeignet sind, so dass die Betriebsparteien neue und differenzierte Regelungen zu treffen haben. Als Maßstab kann dabei eine Grundsatzentscheidung zu Pausenzeiten dienen, die der Fünfte Senat des BAG jetzt zu Pausenzeiten in einem Atommülllager unter Tage getroffen hat. Ansatzpunkt war die Sondervorschrift in § 2 Abs. 1 Satz 2 ArbZG, wonach die Pausen im Bergbau unter Tage – anders als bei den üblichen Pausen nach § 4 ArbZG – zur bezahlten Arbeitszeit zählen.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger war als schichtführende Aufsichtsperson in der bekannten Schachtanlage Asse II (König/Hoffmann, ZUR 2009, 353) eingesetzt, in der Bergleute, Techniker und Ingenieure unter Tage arbeiten. Hier wurden von 1967 bis 1978 im Auftrag des Bundes schwach- und mittelradioaktive Abfälle abgelagert. Inzwischen soll diese ökologisch problematische Anlage stillgelegt werden, so dass die radioaktiven Abfälle „zurückgeholt“ werden sollen. Zur Vorbereitung dieser Arbeit mussten Gesteinsbohrungen durchgeführt, Schuttmaterial transportiert und Betonierarbeiten durchgeführt werden. Die Pausen verbrachte der Kläger in einem Pausencontainer unter Tage. Der Kläger verlangte Zahlung der Pausenzeiten und berief sich auf § 2 Abs. 1 Satz 2 ArbZG, wonach Ruhepausen „im Bergbau unter Tage“ zur Arbeitszeit zählen. Die Beklagte berief sich darauf, dass das Atommülllager nicht von den Regelungen des Bundesberggesetzes erfasst wird.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben (LArbG Stuttgart, Urt. v. 19.09.2018 - 3 Sa 43/18).
Das BAG hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Das BAG hielt die Einwendung der Beklagten nicht für erheblich, denn das Bundesberggesetz enthalte keine abschließende Regelung aller bergbaulichen Tätigkeiten, wie sich aus Bestimmungen im Atomgesetz und im Kreislaufwirtschaftsgesetz ergebe. Letztlich bildete das BAG einen eigenständigen Begriff der bergbaulichen Tätigkeit, die an den Arbeiten orientiert wurde und vor allem an den spezifischen Pausenbedingungen im Bergbau. Danach seien die Beschäftigten in der Pause im Bergbau stärker eingeschränkt als bei den üblichen Pausen, so dass Ruhepausen im Bergbau unter Tage nicht denselben Erholungswert haben, wie die Pausen in Betrieben über Tage, weil die Beschäftigten keine frische Luft schöpften und sich von ihrem Arbeitsort nicht weit entfernen könnten (BT-Drs. III/317, S. 24). Auch der typische Zweck einer Ruhepause, mit Kollegen Kontakt zu pflegen, mit denen keine unmittelbare gemeinsame Arbeit realisiert werde, könne unter Tage in der Regel nicht realisiert werden. Da diese Möglichkeiten den Beschäftigten unter Tage im Atomendlager ebenfalls nicht zur Verfügung stünden, sei es geboten, § 2 Abs. 1 Satz 2 ArbZG anzuwenden.
Kontext der Entscheidung
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Als ein wichtiges Element der Pause nach § 4 ArbZG gehört die räumlich freie Nutzung zur „Pause“. Der Arbeitnehmer muss regelmäßig die Möglichkeit haben, während der Pausenzeit, wenn gewünscht, seinen Arbeitsplatz auch in räumlicher Hinsicht zu verlassen und die Pause an einem anderen Ort zu verbringen (so zuletzt LArbG Köln, Urt. v. 16.02.2017 - 7 Sa 577/16 Rn. 38 m. Anm. Kohte, jurisPR-ArbR 27/2018 Anm. 2). Es ist evident, dass der Kläger in seinem Pausencontainer unter Tage in dieser Möglichkeit deutlich eingeschränkt war, so dass der Grundsatz der unbezahlten Pause bereits vom Normzweck nur schwer anwendbar war.
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Auswirkungen für die Praxis
Die sachliche Bedeutung der Entscheidung reicht weit über das Bergrecht hinaus, denn das BAG macht deutlich, dass es in der Pause auch um die Kommunikation der Beschäftigten ohne die Anforderungen der unmittelbaren Arbeit geht. Dies fügt sich in die bisherige Rechtsprechung zu § 4 ArbZG gut ein.
Im Moment sind in Betrieben, in denen die geschäftliche Tätigkeit aufrecht erhalten oder nach dem Corona-Shutdown neu strukturiert wird, regelmäßig neue Regelungen zur Pausenorganisation zu treffen. Zutreffend wird in den aktuellen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards des BMAS verlangt, dass auch in den Pausenräumen „ausreichender Abstand sicherzustellen“ ist. In der Regel werden daher Pausenräume nur für eine geringere Anzahl von Personen zur Verfügung gestellt. Teilweise wird dies erreicht durch zusätzliche Räume, in anderen Fällen aber auch durch eine differenzierte Aufteilung der Pausenzeiten, so dass auf diese Weise die erforderliche soziale Distanz gewahrt werden kann (Kiesche/Kohte, Arbeits- und Gesundheitsschutz in Zeiten von Corona, 2020, S. 45).
In allen Fällen ist eine Lösung durch Nutzung der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu finden. Auf diese Weise ist es am ehesten möglich, die geeignete Organisation für eine spezifische Herausforderung zu finden und ArbStättV Anhang 4.2. sachgerecht anzuwenden.
zitiert aus: Kohte, jurisPR-ArbR 17/2020 Anm. 6
Newsletter 02/2020-I: Corona-Quarantäne: Was ist rechtlich zu beachten?
Deutscher Anwaltsverein: Rechtliche Folgen für Arbeitnehmer/-geber
Corona-Quarantäne: Was ist rechtlich zu beachten?
Die Deutsche Anwaltauskunft informiert darüber, was eine Quarantäne als Vorsichtsmaßnahme vor der weiteren Verbreitung des Corona-Virus rechtlich für die Betroffenen bedeutet.
Das Corona-Virus verbreitet sich – und die Welt trifft Vorsichtsmaßnahmen, um die Menschen vor der Krankheit zu schützen. Wer krank ist oder unter dem Verdacht steht, sich angesteckt zu haben, wird meist isoliert. So soll verhindert werden, dass sich das Virus ausbreitet.
Wer ordnet die Quarantäne an? Muss ich dem folgen?
Ob man im Krankenhaus isoliert wird oder zuhause bleiben muss: Das Gesundheitsamt entscheidet, über wen Quarantäne verhängt wird. "Die Betroffenen müssen dann Folge leisten und dürfen die Quarantäne nicht verlassen", warnt Rechtsanwalt Dr. Rudolf Ratzel von der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Andernfalls könne die Anordnung des Gesundheitsamtes gerichtlich vollstreckt werden. Betroffene können dann von der Polizei abgeholt werden. Besteht die Gefahr, dass eine Person die Quarantäne-Station auf eigene Faust verlässt, darf das Krankenhaus sie dort einschließen. Auch hierfür bedarf es jedoch einer richterlichen Anordnung.
Ich muss in Quarantäne: Bekomme ich weiterhin mein Gehalt?
Das kommt darauf an: "Ist eine Person tatsächlich krank und wird krankgeschrieben, gelten die normalen Regeln für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall", erklärt Rechtsanwältin Doris-Maria Schuster von der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV. Man bekomme dann sechs Wochen lang sein Gehalt vom Arbeitgeber und danach Krankengeld. Wird eine Person hingegen nur vorsorglich unter Quarantäne gestellt, greift das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Das Nettogehalt kommt dann weiterhin vom Arbeitgeber. Dieser kann sich den Betrag aber später von der Behörde zurückholen, die die Quarantäne angeordnet hat.
Muss ich in der Quarantäne arbeiten, wenn mein Unternehmen mobiles Arbeiten erlaubt?
"Wenn man arbeiten kann und die Arbeitsmittel dabei hat, dann ja", sagt Rechtanwältin Schuster. Wer also gerade von einer Geschäftsreise kommt, seinen Laptop und seine Unterlage dabei hat und (noch) nicht krank ist, müsse auch auf der Isolierstation ran. Das gebiete die Treuepflicht zum Arbeitgeber. Ist man krank oder muss beispielsweise an Maschinen arbeiten, kann man in Quarantäne natürlich nicht tätig werden.
Wer kommt bei Selbstständigen für den Verdienstausfall auf?
Wenn Selbstständige oder Freiberufler unter Quarantäne gestellt werden, erhalten sie Verdienstausfall nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Die Entschädigung bemisst sich nach den letzten Jahreseinnahmen, die dem Finanzamt gemeldet wurden.
Ich war im Risikogebiet oder hatte Kontakt mit einer infizierten Person: Darf ich einfach von der Arbeit zuhause bleiben?
"Auch wer vermutet, sich angesteckt zu haben, sollte auf gar keinen Fall in Eigenregie zuhause bleiben", warnt die Rechtsanwältin aus Hamburg. Das sei Arbeitsverweigerung, im schlimmsten Fall drohe dafür die Kündigung. Wichtig ist aber, den Arbeitgeber über eine mögliche Ansteckung zu informieren. "Er kann dann entscheiden, ob der den Beschäftigten freistellt", fügt Doris-Maria Schuster hinzu.
Ich muss in Quarantäne: Was passiert, wenn ich in dieser Zeit zu einer Reise aufbrechen wollte? Kann ich kostenfrei von der Reise zurücktreten?
Wie bei den meisten reiserechtlichen Fragen kommt es darauf an, ob die Reisenden eine Pauschalreise gebucht haben oder auf eigene Faust unterwegs sind. Pauschalreisende habe in der Regel bessere Chancen, ihre Reisepläne – kostenfrei – ändern zu können oder Geld zurückzubekommen.
Personen, die aus medizinischen Gründen isoliert werden und für diese Zeit eine Reise gebucht haben, hätte aber so oder so schlechte Karten: "Personen, die in Deutschland unter Quarantäne gestellt werden, können eine Pauschalreise deshalb nicht kostenlos stornieren", erklärt Rechtsanwältin Dr. Stefanie Bergmann vom DAV. Der Reiseveranstalter könne schließlich nichts dafür, dass der Reisende den Urlaub nicht antreten kann. "Eine Reiserücktrittversicherung würde hier aber in den meisten Fällen einspringen", sagt Rechtsanwalt Jan Bartholl vom DAV. Eine Erkrankung oder eine Quarantäne auf Anweisung der Behörden sei ein schwerwiegender und nicht vorhersehbarer Grund, eine Reise nicht anzutreten.
Was passiert, wenn ich im Ausland in Quarantäne muss, wie es Passagieren eines Kreuzfahrtschiffes in Japan passiert ist?
Individualreisende sind auch hier selbst für ihren Transport verantwortlich: Wenn sie den geplanten Rückflug verpassen, weil sie das Schiff nicht verlassen dürfen, müssen sie ihren Flug selbst umbuchen. Oder eben einen neuen Flug aus eigener Tasche zahlen. "Bei Pauschalreisenden hat der Veranstalter die Fürsorgepflicht", erklärt Rechtsanwalt Bartholl. Er sei erster Ansprechpartner für die Reisenden in Quarantäne und helfe dabei, einen Rückflug für die Zeit nach der Quarantäne zu finden.
"Die Mehrkosten für den Flug muss aber wahrscheinlich der Reisende selbst tragen, wenn der Flug nach Ende der regulären Pauschalreise stattfindet", schätzt Rechtsanwältin Bergmann. Das sei etwa der Fall, wenn ein Reisender fünf Tage vor Ende seines Urlaubs für zwei Wochen in Quarantäne muss. Die Quarantäne beziehungsweise das Virus sei ein unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand, für den der Reiseveranstalter nicht im Wege von Schadensersatz aufkommen muss.
Darf ich eine Reise nach China jetzt kostenfrei stornieren und mein Geld zurückbekommen?
Von geplanten Reisen in die Provinz Hubei, in der das Corona-Virus ausgebrochen ist, können Reisende in der Regel kostenlos zurücktreten. Das Auswärtige Amt hat für dieses Gebiet eine Teilreisewarnung ausgesprochen. Nach Erfahrung von Jan Bartholl sind Reiseveranstalter derzeit aber generell kulant, wenn es um Chinareisen geht: "Sie erlauben es Reisenden, auch Reisen in andere Gebiete Chinas kostenlos zu stornieren oder umzubuchen." Nicht möglich ist das allerdings bei Reisen in andere Länder – auch wenn die Fluggesellschaft den Flug storniert. "Wer etwa einen Flug nach Malaysia und die Rundreise vor Ort separat bucht, kann die Reise nicht kostenlos stornieren, wenn die Airline den Flug absagt", warnt Rechtsanwältin Bergmann aus Hamburg.
Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Anwaltauskunft Nr. 17/2020 v. 11.02.2020
Newsletter 02/2020-II: Nachtschichtzuschläge in der Getränkeindustrie
Aktenzeichen 11 Ca 5999/19 , 11 Ca 6000/19 vom 09.01.2020, ArbG Köln
Nachtschichtzuschläge in der Getränkeindustrie
Das ArbG Köln hat in zwei Fällen entschieden, dass eine tarifvertragliche Regelung, die für Nachtarbeit außerhalb eines Schichtsystems einen Zuschlag von 50% zum Stundenlohn vorsieht, während Nachtarbeit im Schichtbetrieb mit einem Zuschlag von 15% vergütet wird, wirksam ist.
Beim ArbG Köln sind derzeit ca. 60 Klagen anhängig, mit denen Arbeitnehmer eines Getränkeherstellers einen höheren Nachtarbeitszuschlag verlangen, da sie die entsprechende Regelung im einheitlichen Manteltarifvertrag für die Erfrischungsgetränkeindustrie Nordrhein-Westfalen vom 20.01.2001 für unwirksam halten. Der Tarifvertrag unterscheidet hinsichtlich der Höhe des Nachtarbeitszuschlags danach, ob die Nachtarbeit innerhalb oder außerhalb eines Schichtsystems erbracht wird. Bei außerhalb eines Schichtsystems erbrachter Nachtarbeit fällt ein Zuschlag von 50% an, während für innerhalb eines Schichtsystems erbrachte Nachtarbeit nur ein Zuschlag von 15% zu zahlen ist. Die Kläger zweier Verfahren halten diese Unterscheidung für unzulässig und berufen sich hierzu auf eine Entscheidung des BAG vom 21.03.2018 (10 AZR 34/17), die sich mit einer ähnlichen Regelung in der Textilindustrie befasste.
Das ArbG Köln hat die Klagen abgewiesen.
Nach Auffassung des Arbeitsgerichts ist die tarifliche Regelung wirksam. Die Tarifvertragsparteien haben den ihnen zustehenden Ermessensspielraum mit der für die Nachtarbeitszuschläge vorgenommenen Gruppenbildung nicht überschritten. Zu berücksichtigen seien insofern auch weitere zu Gunsten der Schichtarbeiter getroffene Regelungen zu Freischichten und zusätzlichen bezahlten Pausen.
Gegen die Urteile kann Berufung vor dem LArbG Köln eingelegt werden.
Quelle: Pressemitteilung des ArbG Köln Nr. 1/2020 v. 12.02.2020
Newsletter 12/2019-I: Inkonsistente Datensätze in den An-/Abwesenheitskontingenten der Zeitwirtschaft
Inkonsistente Datensätze in den An-/Abwesenheitskontingenten der Zeitwirtschaft
Es können Inkonsistenzen in den An-/Abwesenheitskontingenten der Zeitwirtschaft auftreten, die in der Folge zu Problemen bei der Urlaubsabtragung führen. Die Infotypen 2001 und 2006 können in diesen Fällen nicht ordnungsgemäß synchronisiert werden.
Beispiel aus der Praxis:
Erkennbar wird der Fehler beim Ausführen des Reports RPTKOK00 und des Folgereports RPTBPC10, der bei Betätigung des Buttons „Abtragung neu“ in der Ergebnisliste des RPTKOK00 ausgeführt wird:
Der Report RPTKOK00 liefert fehlerhafte Personalnummern, die anschließend mittels RPTBPC10 korrigiert werden. Beim erneuten Ausführen des RPTKOK00 werden diese Personalnummern nicht mehr als fehlerhaft aufgelistet, es erscheinen nun jedoch andere fehlerhafte Personalnummern. Nach Korrektur dieser Personalnummern mittels RPTBPC10 werden beim nochmaligen Ausführen des RPTKOK00 wieder die ursprünglich fehlerhaften Personalnummern angezeigt.
Eine Korrektur ist nicht möglich, es kommt zu fortwährenden Wechselwirkungen zwischen den Personalnummern.
Die Ursache liegt in der erneuten Vergabe von bereits verbrauchten internen Nummerierungen der Abwesenheits- und Kontingentsätze. Es kommt zu Bildung inkonsistenter Datensätze. Eine doppelte Vergabe ist im SAP-Standard nicht erlaubt, kann in der Praxis aber aus unterschiedlichen Gründen vorkommen, z.B. im Zuge von Mandantenkonsolidierungen, nach dem Klonen von Personalnummern, falschen Intervall-Nummernständen o.ä.
Sollte eine solcher Fall auftreten, muss die Datenbank des betroffenen Systems bereinigt und die interne Nummerierung neu sortiert werden.
Zu diesem Zweck muss zunächst der aktuelle Nummernstand der Personenzeitbelegnummern DOCNR (IT2001, IT2002) und QUONR (IT2006, 2007) analysiert und mit dem jeweiligen Zählerstand abgeglichen werden. Ein zu niedriger Zählerstand muss korrigiert werden.
Ferner muss die Datenbank auf doppelt vergebene DOCNR und QUONR untersucht werden. In der Regel tritt das Problem durch doppelte DOCNR auf. Diese müssen gelöscht werden.
Anschließend sind die gelöschten DOCNR neu aufzubauen.
Um Inkonsistenzen solcher Art zu vermeiden bzw. frühzeitig zu erkennen, sollte der Prüfreport RPTKOK00 (und ggf. der Korrekturreport RPTBPC10) regelmäßig ausgeführt werden.
Wollen Sie Ihre Systeme entsprechend prüfen oder müssen Sie bereits vorhandene Inkonsistenzen bereinigen, stehen wir Ihnen gerne beratend zur Seite.
Newsletter 12/2019-II: Gesetzliche Neuregelungen im Arbeits- und Sozialrecht ab 2020
Gesetzliche Neuregelungen im Arbeits- und Sozialrecht ab 2020
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat eine Übersicht über die wesentlichen Änderungen und Neuregelungen zusammengestellt, die zum Jahresbeginn und im Laufe des Jahres 2020 in seinem Zuständigkeitsbereich wirksam werden.
1. Arbeitsmarktpolitik, Arbeitslosenversicherung und Grundsicherung für Arbeitsuchende
a) Beitragssatzverordnung
Entlastung von Beschäftigten und Arbeitgebern: Der Beitragssatz zur Arbeitsförderung (Arbeitslosenversicherung) wird ab 01.01.2020 befristet bis zum Ende des Jahres 2022 um weitere 0,1 Prozentpunkte auf 2,4% mittels Rechtsverordnung gesenkt. Die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung um weitere 0,1 Prozentpunkte entlastet Arbeitnehmer sowie die Unternehmen um jeweils rund 0,6 Mrd. Euro jährlich.
b) Insolvenzgeldumlagesatzverordnung
Der Umlagesatz für das Insolvenzgeld beträgt im Jahr 2020 – wie in den beiden Vorjahren – 0,06 Prozent. Dies regelt die Insolvenzgeldumlagesatzverordnung 2020, die am 01.01.2020 in Kraft tritt. Der Umlagesatz von 0,06 Prozent gilt für das Kalenderjahr 2020.
c) Qualifizierungschancengesetz (Regelungen, die am 01.01.2020 in Kraft treten)
•Verbesserter Schutz in der Arbeitslosenversicherung: Der Zugang zu einem Anspruch auf Arbeitslosengeld wird erleichtert. Bisher ist die dafür grundsätzlich erforderliche Mindestversicherungszeit von zwölf Monaten innerhalb einer Rahmenfrist von zwei Jahren nachzuweisen. Künftig gilt hierfür eine erweiterte Rahmenfrist von 30 Monaten.
Darüber hinaus wurden die Zugangsbedingungen der Sonderregelung zu der auf sechs Monate verkürzten Mindestversicherungszeit für Personen, die überwiegend kurz befristete Beschäftigungen ausüben, nochmals erleichtert. Damit wird der Arbeitslosenversicherungsschutz auch für diese Arbeitnehmer deutlich verbessert.
d) Neue Regelbedarfe in der Grundsicherung für Arbeitsuchende
Ab dem 01.01.2020 gelten neue Regelbedarfe in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II in Höhe der vergleichbaren Regelbedarfsstufen (RBS) nach dem SGB XII:
• für alleinstehende und alleinerziehende Leistungsberechtigte: 432 Euro (RBS 1)
• für zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, jeweils: 389 Euro (RBS 2)
• für sonstige erwerbsfähige Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft, sofern sie das 18. Lebensjahr vollendet haben bzw. für erwachsene Leistungsberechtige unter 25 Jahren, die ohne Zusicherung des Jobcenters umziehen: 345 Euro (RBS 3)
• für Jugendliche im 15. Lebensjahr bis unter 18 Jahre: 328 Euro (RBS 4)
• für Kinder vom Beginn des 7. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres: 308 Euro (RBS 5)
• für Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres: 250 Euro (RBS 6)
e) Berufsbildungsmodernisierungsgesetz
Am 01.01.2020 tritt das unter Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erarbeitete Gesetz zur Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung (BBiMoG) in Kraft. In dem Gesetz konnten aus Sicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales verschiedene wichtige Punkte verankert werden:
So wird im Berufsbildungsgesetz (BBiG) für alle Berufsausbildungen, die ab 01.01.2020 begonnen werden, eine Mindestausbildungsvergütung (MAV) festgeschrieben in Höhe von zunächst 515 Euro. Bis zum Jahr 2023 ist eine schrittweise Erhöhung vorgesehen (2021: 550 Euro; 2022: 585 Euro; 2023: 620 Euro). Für das zweite Ausbildungsjahr ist ein Aufschlag von 18%, für das dritte von 35% und für das vierte von 40% vorgesehen. Die Anpassung in den Folgejahren knüpft an die durchschnittliche Entwicklung der vertraglich vereinbarten Ausbildungsvergütungen (tariflich und individualvertraglich) an und erfolgt automatisch. Tarifgebundene Ausbildungsbetriebe können ihren Auszubildenden die für sie geltenden tariflichen Ausbildungsvergütungen zahlen, selbst wenn diese noch unter den o.g. Sätzen liegen. Oberhalb der MAV darf die vereinbarte Ausbildungsvergütung die in den einschlägigen Tarifverträgen festgelegte Vergütung um nicht mehr als 20% unterschreiten. Die Mindestausbildungsvergütung gilt auch für außerbetriebliche Ausbildungen.
Im Zuge der Einführung der MAV wird im Dritten Sozialgesetzbuch neu geregelt, dass die Agentur für Arbeit bei außerbetrieblicher Ausbildung dem Maßnahmeträger künftig den an den Auszubildenden gezahlten Betrag bis zur Höhe der MAV erstattet. Zudem wird die Einführung der MAV auch für die Ausbildungsförderung von Menschen mit Behinderungen unter Berücksichtigung des bisherigen Leistungssystems und der Möglichkeit der Aufstockung der Bedarfssätze des Ausbildungsgeldes auf die Höhe der Netto-MAV (nach Abzug der Steuern und einer Sozialversicherungspauschale) nachvollzogen.
Weiterhin wurden im BBiG in Anlehnung an das Jugendarbeitsschutzgesetz Regelungen zum Freistellungsanspruch und zur Anrechnung von Berufsschulzeiten für erwachsene Auszubildende aufgenommen. Zudem wird ein Freistellungsanspruch für ehrenamtliche Prüfer gegenüber ihrem Arbeitgeber im BBiG und in der Handwerksordnung (HWO) geregelt.
f) Berufsausbildungsbeihilfe und Ausbildungsgeld Anpassungsgesetz
Zum 01.08.2020 tritt die zweite Stufe des Berufsausbildungsbeihilfe- und Ausbildungsgeld Anpassungsgesetzes in Kraft. Damit werden die Bedarfssätze und Freibeträge in einer zweiten Stufe bei der Berufsausbildungsbeihilfe und beim Ausbildungsgeld angehoben. Dies entspricht den Anpassungen der Bundesausbildungsförderung durch das 26. BAföG-Änderungsgesetz und stellt damit die gleichmäßige Entwicklung der Ausbildungsförderung für alle Personen in Schule, Studium und beruflicher Ausbildung sicher.
Darüber hinaus profitieren auch u.a. Teilnehmende an berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen als auch Teilnehmende im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich von anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen. Zudem steigen die Beträge, die für die Betreuung aufsichtsbedürftiger Kinder im Rahmen der Berufsausbildungsbeihilfe erstattet werden können, ebenso wie für Teilnehmende an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung von 140 auf 150 Euro.
g) Verlängerung des Eingliederungszuschusses für Ältere
Arbeitgeber können von den Agenturen für Arbeit und Jobcentern mit einem Eingliederungszuschuss in Höhe von bis zu 50% des Arbeitsentgelts gefördert werden, wenn sie Arbeitsuchende mit Vermittlungshemmnissen einstellen. Allgemein können die Zuschüsse längstens bis zu zwölf Monate gewährt werden, bei über 50-jährigen Arbeitsuchenden nach einer bis Ende 2019 befristeten Sonderregelung bis zu 36 Monate. Mit Wirkung vom 01.01.2020 wird die Sonderregelung für die älteren Arbeitsuchenden mit Vermittlungshemmnissen um vier Jahre bis Ende 2023 verlängert.
h) Fachkräfteeinwanderungsgesetz
Am 01.03.2020 tritt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft. Mit dem Gesetz wird der Arbeitsmarkt für Fachkräfte aus Staaten außerhalb der Europäischen Union vollständig geöffnet.
Bisher hatten nur akademisch ausgebildete Fachkräfte unbeschränkten Arbeitsmarktzugang. Künftig können auch Fachkräfte mit einer ausländischen beruflichen Qualifikation in allen Berufen ein Visum oder einen Aufenthaltstitel zur Beschäftigung erhalten. Die Beschränkung auf Engpassberufe entfällt.
Zur Erteilung des Visums oder Aufenthaltstitels zur Beschäftigung sind die Feststellung der Gleichwertigkeit der Qualifikation und ein konkretes Arbeitsplatzangebot nachzuweisen. Es ist die Ausübung jeder qualifizierten Tätigkeit erlaubt, zu der die Qualifikation befähigt. Wie bisher prüft die Bundesagentur für Arbeit, ob die Beschäftigungsbedingungen denen vergleichbarer inländischer Arbeitnehmer entsprechen. Eine Vor rangprüfung wird nicht mehr durchgeführt. Außerdem werden die Möglichkeiten des Aufenthalts zur beruflichen Anerkennung und zur Arbeitsuche erweitert.
Mit dem beschleunigten Fachkräfteverfahren wird die Möglichkeit eines schnelleren und planungssicheren Visumverfahrens eingeführt. Voraussetzung ist eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und der örtlich zuständigen Ausländerbehörde. Sobald alle Unterlagen vorliegen und die Ausländerbehörde die Zustimmung zur Einreise erteilt hat, erhält die Fachkraft innerhalb von drei Wochen einen Termin in der Auslandsvertretung und innerhalb weiterer drei Wochen das Visum.
Die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften für Fachkräfte befinden sich künftig abschließend im Aufenthaltsgesetz. Die Regelungen in der Beschäftigungsverordnung entfallen.
i) Verordnung zur Änderung der Beschäftigungsverordnung und der Aufenthaltsverordnung (vorbehaltlich etwaiger Änderungen im Zuge der Bundesratsbefassung am 20.12.2019)
Ergänzend zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll Anfang März 2020 die Verordnung zur Änderung der Beschäftigungsverordnung und der Aufenthaltsverordnung in Kraft treten, mit der weitere Regelungen vereinfacht, weiterentwickelt und an die Bedürfnisse der Praxis angepasst werden.
Insbesondere können Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrer im Güterverkehr und Busfahrer künftig unter besonderen Voraussetzungen eine Beschäftigung in Deutschland aufnehmen. Damit wird berücksichtigt, dass in der Europäischen Union die Befähigung als Berufskraftfahrer in der Regel mit der Grundqualifikation oder beschleunigten Grundqualifikation erworben wird.
Für vorwiegend aus religiösen Gründen beschäftigte Personen wird künftig zur Förderung der Integration vor der Einreise grundsätzlich der Nachweis von einfachen beziehungsweise – nach einer Übergangsfrist – hinreichenden Deutschsprachkenntnissen als Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Ausübung der religiösen Beschäftigung verlangt.
Die Verordnung greift außerdem die national und international gewachsene Bedeutung von eSport auf. eSportler aus Drittstaaten, die eSport berufsmäßig ausüben, können künftig in deutschen Vereinen oder vergleichbaren Einrichtungen eine Beschäftigung aufnehmen.
Des Weiteren sind Regelungen für Führungskräfte, leitende Angestellte und Spezialisten, für Praktika vonSchülern deutscher Auslandsschulen, für Werklieferungsverträge und besondere Personengruppen betroffen.
Die Bundesregierung hat die Verordnung am 06.11.2019 beschlossen. Die Befassung des Bundesrates ist für den 20.12.2019 vorgesehen.
j) Brexit: Fünfte Verordnung zur Änderung der Beschäftigungsverordnung
Für den Fall, dass das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland die Europäische Union ohne Austrittsabkommen verlässt, tritt die Fünfte Verordnung zur Änderung der Beschäftigungsverordnung in Kraft. Britische Staatsangehörige erhalten für diesen Fall Rechtssicherheit durch einen umfassend erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Regelungen unterscheiden zwischen britischen Staatsangehörigen, die bereits vor einem ungeregelten Austritt in Deutschland lebten und solchen, die nach einem ungeregelten Austritt neu einreisen.
Den bereits vor einem ungeregelten Austritt in Deutschland lebenden oder arbeitenden britischen Staatsangehörigen wird weiterhin freier Arbeitsmarktzugang gewährt. Bestehende Arbeitsverhältnisse sollen ohne Unterbrechung und bürokratischen Aufwand fortgesetzt werden können. Britische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt des Austritts freizügigkeitsberechtigt in Deutschland aufgehalten haben, sollen daher weiterhin unabhängig von ihrer Qualifikation jede Beschäftigung ausüben dürfen. Ein Arbeitsvertrag genügt zur Erteilung eines Aufenthaltstitels. Die Bundesagentur für Arbeit muss nicht zustimmen.
Britische Staatsangehörige, die in den ersten 14 Monaten nach einem ungeregelten Austritt neu einreisen, sollen ebenfalls jede Beschäftigung ausüben dürfen, ohne dass die Bundesagentur für Arbeit zustimmen muss.
Britische Staatsangehörige, die zwischen dem 15. und 26. Monat nach einem ungeregelten Austritt neu einreisen, sollen denselben privilegierten Arbeitsmarktzugang erhalten wie Staatsangehörige wichtiger Handelspartner, z. B. aus den Vereinigten Staaten von Amerika oder Kanada. Sie sollen mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit jede Beschäftigung ausüben dürfen; die Zustimmung erfolgt inklusive Vorrangprüfung.
k) Eröffnung Zentrale Servicestelle Berufsanerkennung (ZSBA, die gesetzliche Grundlage hierfür ist allerdings schon 2019 in Kraft getreten)
Zum 01.02.2020 wird die Zentrale Servicestelle Berufsanerkennung (ZSBA) bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) ihre Arbeit aufnehmen. Konkret wird die ZSBA bei der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der BA (ZAV) in Bonn angesiedelt sein.
Mit der Einrichtung der ZSBA werden drei wesentliche Ziele verfolgt:
• Anerkennungssuchenden, die sich im Ausland befinden, einen bundesweit zentralen Ansprechpartner anzubieten,
• zuständige Stellen von der kommunikationsintensiven Beratung der Antragstellenden zu entlasten,
• das Anerkennungsverfahren transparenter und für den einzelnen Antragstellenden effizienter zu gestalten.
Die ZSBA hat die Aufgabe, Anerkennungssuchende, die sich im Ausland befinden, über die Aussichten und Voraussetzungen eines Anerkennungsverfahrens bzw. der Berufszulassung und die damit im Zusammenhang stehenden aufenthaltsrechtlichen Fragen im konkreten Fall zu beraten und durch das Anerkennungsverfahren bis zur Einreise nach Deutschland zu begleiten (Lotsenfunktion).
Zu ihrem Angebot gehört auch die Beratung zu einem möglichen Beschäftigungsort, die Unterstützung der Antragstellenden bei der Zusammenstellung der erforderlichen Unterlagen und deren Weiterleitung an die zuständige Stelle sowie die Vermittlung von Kontakten zu inländischen Arbeitgebern und Qualifizierungsangeboten.
Die ZSBA schließt als bundesweit zentrale Anlaufstelle für im Ausland lebende Anerkennungssuchende eine Lücke im vorhandenen Beratungsangebot. Sie arbeitet eng mit den vorhandenen Beratungs- und Informationsstrukturen zusammen und baut auf diesen auf. Die ZSBA wird als Modellvorhaben durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zunächst für eine Phase von vier Jahren gefördert.
2. Arbeitsrecht, Arbeitsschutz, Tarifautonomie, Mindestlohn
a) Gesetzlicher Mindestlohn
Der gesetzliche Mindestlohn beträgt ab dem 01.01.2020 brutto 9,35 Euro je tatsächlich geleisteter Arbeitsstunde. Die bereits im Jahr 2018 beschlossene Anhebung des Mindestlohns beruht auf dem Vorschlag der Mindestlohnkommission aus dem gleichen Jahr.
3. Sozialversicherung, Rentenversicherung und Sozialgesetzbuch
a) Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung
Der Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung beträgt ab dem 01.01.2020 weiterhin 18,6% in der allgemeinen Rentenversicherung und 24,7% in der knappschaftlichen Rentenversicherung.
b) Anhebung der Altersgrenzen
Im Jahr 2012 startete die Anhebung des Renteneintrittsalters. Im Zuge der schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters in der gesetzlichen Rentenversicherung ("Rente mit 67") steigen die Altersgrenzen um einen weiteren Monat. Versicherte, die 1955 geboren sind und für die keine Vertrauensschutzregelungen gelten, erreichen die Regelaltersgrenze mit 65 Jahren und neun Monaten.
Für die folgenden Geburtsjahrgänge erhöht sich die Regelaltersgrenze zunächst um je einen weiteren Monat; später wird in Stufen von zwei Monaten pro Jahrgang angehoben. Erst für die Jahrgänge 1964 und jünger wird die Regelaltersgrenze bei 67 Jahren liegen.
c) Verbesserte Absicherung bei Erwerbsminderung
Wer in jüngeren Jahren vermindert erwerbsfähig wird, hat in der Regel noch keine ausreichenden Rentenanwartschaften aufbauen können. Damit die Versicherten dennoch eine angemessene Sicherung erhalten, werden Bezieher einer Erwerbsminderungsrente so gestellt, als hätten diese über den Eintritt der Erwerbsminderung hinaus so weitergearbeitet, wie zuvor (Zurechnungszeit). Die Zurechnungszeit wurde im Jahr 2019 durch das Gesetz über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz) in einem Schritt auf 65 Jahre und acht Monate angehoben. Ab diesem Jahr wird sie in Anlehnung an die Anhebung der Regelaltersgrenze bis zum Jahr 2031 schrittweise bis auf 67 Jahre verlängert. Bei einem Beginn der Erwerbsminderungsrente im Jahr 2020 endet die Zurechnungszeit mit 65 Jahren und neun Monaten.
d) Künstlersozialversicherung
Der Abgabesatz der Künstlersozialabgabe bleibt weiterhin ab 01.01.2020 bei 4,2%.
e) Sozialversicherungsrechengrößen
Mit der Verordnung über die Sozialversicherungsrechengrößen 2020 wurden die maßgeblichen Rechengrößen der Sozialversicherung gemäß der Einkommensentwicklung im vergangenen Jahr (2018) turnusgemäß angepasst. Das Verordnungsverfahren und die Festlegung der Werte erfolgen in sich jährlich wiederholender Routine auf Grundlage gesetzlicher Bestimmungen.
Rechengrößen der Sozialversicherung 2020
Beitragsbemessungsgrenze: Allgemeine Rentenversicherung
West, Monat (€): 6.900
West, Jahr (€): 82.800
Ost, Monat (€): 6.450
Ost, Jahr (€): 77.400
Beitragsbemessungsgrenze: knappschaftliche Rentenversicherung
West, Monat (€): 8.450
West, Jahr (€): 101.400
Ost, Monat (€): 7.900
Ost, Jahr (€): 94.800
Beitragsbemessungsgrenze: Arbeitslosenversicherung
West, Monat (€): 6.900
West, Jahr (€): 82.800
Ost, Monat (€): 6.450
Ost, Jahr (€): 77.400
Versicherungspflichtgrenze: Kranken- u. Pflegeversicherung
West, Monat (€): 5.212,50
West, Jahr (€): 62.550
Ost, Monat (€): 5.212,50
Ost, Jahr (€): 62.550
Beitragsbemessungsgrenze: Kranken- u. Pflegeversicherung
West, Monat (€): 4.687,50
West, Jahr (€): 56.250
Ost, Monat (€): 4.687,50
Ost, Jahr (€): 56.250
Bezugsgröße in der Sozialversicherung
West, Monat (€): 3.185*
West, Jahr (€): 38.220*
Ost, Monat (€): 3.010
Ost, Jahr (€): 36.120
Vorläufiges Durchschnittsentgelt/Jahr (€) in der Rentenversicherung: 40.551
* In der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gilt dieser Wert bundeseinheitlich.
f) Mindestbeitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung
Der Mindestbeitrag zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 01.01.2020 beträgt 83,70 Euro monatlich.
g) Alterssicherung der Landwirte
Der Beitrag in der Alterssicherung der Landwirte wird für das Kalenderjahr 2020 monatlich 261 Euro (West) bzw. 244 Euro (Ost) betragen.
h) Faktor F 2020 im Übergangsbereich
Ab dem 01.01.2020 gilt für Beschäftigte im Übergangsbereich 450,01 Euro bis 1.300,00 Euro Entgelt im Monat der neue Faktor F 0,7547.
i) Sachbezugswerte 2020
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat jährlich den Wert der Sachbezüge nach dem tatsächlichen Verkehrswert im Voraus anzupassen und dabei eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen. Die Werte für Verpflegung und Unterkunft werden daher jährlich an die Entwicklung der Verbraucherpreise angepasst. Der Verbraucherpreisindex ist im maßgeblichen Zeitraum von Juni 2018 bis Juni 2019 um 2,1 Prozentpunkte gestiegen. Auf dieser Grundlage wurde der Wert für Verpflegung von 251 Euro auf 258 Euro (Frühstück auf 54 Euro, Mittag- und Abendessen auf jeweils 102 Euro) angehoben. Der Wert für Mieten und Unterkunft erhöhen sich um 1,8% von 231 Euro auf 235 Euro.
4. Teilhabe, Belange von Menschen mit Behinderungen, Soziale Entschädigung, Sozialhilfe
a) Dritte Reformstufe des Bundesteilhabgesetzes tritt in Kraft
Zum 01.01.2020 tritt die dritte Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in Kraft: die Reform der Eingliederungshilfe. Die Eingliederungshilfe wird aus dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe herausgelöst und als eigenständiges Leistungsrecht in das SGB IX eingebettet. Damit einher gehen wesentliche Verbesserungen für die leistungsberechtigten Menschen mit Behinderungen:
• Die Fachleistungen der Eingliederungshilfe werden in den bisherigen stationären Einrichtungen (den künftigen besonderen Wohnformen) von den existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe getrennt. Die Abkehr vom sog. "Komplettpaket" erhöht die Wahlfreiheit und Selbstbestimmung der Betroffenen. Die Fachleistungen orientieren sich ab dem 01.01.2020 am individuellen Bedarf und werden unabhängig von der Wohnform erbracht.
• Auch für die Eingliederungshilfe wird durch ein eigenes Kapitel für die Leistungen zur Teilhabe an Bildung der hohe Stellenwert der Bildung herausgestellt. Damit werden erstmals Assistenzleistungen für höhere Studienabschlüsse wie ein Masterstudium oder in bestimmten Fällen auch eine Promotion rechtssicher ermöglicht.
• Durch eine Neustrukturierung und Konkretisierung der Leistungen zur Sozialen Teilhabe in der Eingliederungshilfe werden die Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung weiter gestärkt. Eingliederungshilfebezieher profitieren so u.a. von einem neuen Leistungstatbestand, der Assistenzleistungen zur selbstbestimmten Alltagsbewältigung konkret regelt und auch die Unterstützung bei der Ausübung eines Ehrenamtes vorsieht.
• Zudem treten weitere wesentliche Verbesserungen bei der Einkommens- und Vermögensanrechnung in Kraft. Damit werden die Anreize zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung durch Menschen mit Behinderungen erhöht und eine angemessene Alterssicherung ermöglicht. Die Anrechnung des Partnereinkommens und -vermögens entfällt sogar vollständig.
Gleichzeitig mit der dritten Reformstufe des BTHG tritt zum 01.01.2020 das "Gesetz zur Änderung des Neunten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Rechtsvorschriften" in Kraft. Dieses Gesetz enthält klarstellende Regelungen bezüglich der Trennung der Leistungen in den bisherigen stationären Einrichtungen sowie weitere für eine reibungslose Umsetzung der Reformstufe notwendige redaktionelle Änderungen. Zudem wird ein Finanzierungsproblem gelöst, das durch die Systemumstellung in der Eingliederungshilfe einmalig entsteht: Innerhalb des ersten Quartals 2020 wird einmalig auf die Anrechnung der Rentenversicherungsleistungen für Menschen, die bis zu diesem Zeitpunkt in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe leben, verzichtet.
b) Gesetz zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts
Mit der derzeit noch ausstehenden, aber in Kürze absehbaren Verkündung des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts im Bundesgesetzblatt ergeben sich ab 01.01.2020 insbesondere folgende Neuerungen:
Verbesserungen für Gewaltopfer einschließlich Terroropfer
Rückwirkend zum 01.07.2018 werden für Leistungsberechtigte nach dem Bundesversorgungsgesetz, das unter anderem für Gewaltopfer einschließlich Terroropfer gilt, die Waisenrenten und das Bestattungsgeld bei schädigungsbedingtem Tod erhöht und die Leistungen für Überführungskosten verbessert. Auch das Opferentschädigungsgesetz selbst wird rückwirkend zum 01.07.2018 geändert. Dadurch erhalten sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltende Ausländer, die Opfer einer Gewalttat werden, die gleichen Entschädigungsleistungen wie deutsche Gewaltopfer.
Umbenennung Bundesversicherungsamt
Zum 01.01.2020 wird das Bundesversicherungsamt in Bundesamt für Soziale Sicherung umbenannt. Durch die Namensänderung kommt die stetige Weiterentwicklung von einer Aufsichts- zu einer vielschichtigen Verwaltungs- und Finanzbehörde im Rechtskreis der Sozialversicherung zum Ausdruck.
c) Gesetz zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigen-Entlastungsgesetz, Inkrafttreten 01.01.2020)
Mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz werden unterhaltsverpflichtete Eltern und Kinder von Menschen, die Leistungen der Hilfe zur Pflege oder andere Leistungen der Sozialhilfe erhalten, entlastet: Auf ihr Einkommen wird zukünftig erst ab einem Jahresbetrag von mehr als 100.000 Euro zurückgegriffen. Eine Ausnahme bilden nur unterhaltsverpflichtete Eltern minderjähriger Leistungsbezieher, die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII erhalten. In der Eingliederungshilfe wird der Kostenbeitrag, den unterhaltsverpflichtete Eltern für ihre volljährigen leistungsberechtigten Kinder aufbringen müssen, sogar unabhängig vom Einkommen vollständig entfallen.
Darüber hinaus werden wichtige Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen umgesetzt, um die mit dem Bundesteilhabegesetz eingeführten Maßnahmen zu verstetigen und weiterzuentwickeln:
Die Weiterfinanzierung der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) wird dauerhaft gesichert. Das schafft vor allem für die Träger der Beratungsangebote und ihre Beschäftigten langfristige Rechts- und Planungssicherheit.
Es wird ein Budget für Ausbildung als (weitere) Alternative zu den Werkstätten für behinderte Menschen eingeführt. Damit werden die Chancen für Menschen mit Behinderungen verbessert, eine berufliche Ausbildung auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt absolvieren zu können.
In der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wird nunmehr auch gesetzlich klargestellt, dass Menschen mit Behinderungen auch im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich von Werkstätten für behinderte Menschen leistungsberechtigt sind.
Es wird in Bezug auf die Kosten einer als notwendig festgestellten Arbeitsassistenz klargestellt, dass es kein Ermessen bezüglich des Umfangs der Kostenübernahme gibt.
d) Höhere Regelbedarfe in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch
Ab dem 01.01.2020 gelten neue Regelbedarfe in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII):
• für jede erwachsene Person, die in einer Wohnung nach § 42a Absatz 2 Satz 2 lebt und für die nicht Regelbedarfsstufe 2 gilt: 432 Euro (RBS 1)
• für jede erwachsene Person, wenn sie in einer Wohnung nach § 42a Absatz 2 Satz 2 mit einem Ehegatten oder Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft mit einem Partner zusammenlebt: 389 Euro (RBS2)
• für eine erwachsene Person, deren notwendiger Lebensunterhalt sich nach § 27b bestimmt: 345 Euro (RBS 3)
• für eine Jugendliche oder einen Jugendlichen vom Beginn des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres: 328 Euro (RBS 4)
• für ein Kind vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres: 308 Euro (RBS 5)
• für ein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres: 250 Euro (RBS 6)
Newsletter 11/2019-I: Kein Urlaubsanspruch während Freistellungsphase bei Altersteilzeit im Blockmodell
BAG, Urteil vom 24.09.2019, Aktenzeichen 9 AZR 481/18
Das BAG hat entschieden, dass nach Beendigung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses im Blockmodell kein Anspruch auf Abgeltung von Urlaub für die Freistellungsphase besteht.
Der Kläger war bei der Beklagten im Rahmen eines Vollzeitarbeitsverhältnisses beschäftigt. Ab dem 01.12.2014 setzten die Parteien das Arbeitsverhältnis als Altersteilzeitarbeitsverhältnis mit der Hälfte der bisherigen Arbeitszeit fort. Nach dem vereinbarten Blockmodell war der Kläger bis zum 31.03.2016 im bisherigen Umfang zur Arbeitsleistung verpflichtet und anschließend bis zum 31.07.2017 von der Arbeitsleistung freigestellt. Während der Dauer des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses erhielt er sein auf der Grundlage der reduzierten Arbeitszeit berechnetes Gehalt zuzüglich der Aufstockungsbeträge. Dem Kläger stand nach dem Arbeitsvertrag jährlich an 30 Arbeitstagen Urlaub zu. Im Jahr 2016 gewährte ihm die Beklagte an acht Arbeitstagen Erholungsurlaub. Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, für die Freistellungsphase der Altersteilzeit habe er Anspruch auf insgesamt 52 Arbeitstage Urlaub gehabt, den die Beklagte abzugelten habe.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg.
Nach § 3 Abs. 1 BUrlG beläuft sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei einer gleichmäßigen Verteilung der Arbeit auf sechs Tage in der Woche auf 24 Werktage. Ist die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers auf weniger oder mehr als sechs Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt, muss die Anzahl der Urlaubstage unter Berücksichtigung des für das Urlaubsjahr maßgeblichen Arbeitsrhythmus berechnet werden, um für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer zu gewährleisten (24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage, vgl. BAG, Urt. v. 19.03.2019 - 9 AZR 406/17). Einem Arbeitnehmer, der sich in der Freistellungsphase eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses befindet und im gesamten Kalenderjahr von der Arbeitspflicht entbunden ist, steht mangels Arbeitspflicht kein gesetzlicher Anspruch auf Erholungsurlaub zu. Die Freistellungsphase ist mit "null" Arbeitstagen in Ansatz zu bringen. Vollzieht sich der Wechsel von der Arbeits- in die Freistellungsphase im Verlauf des Kalenderjahres, muss der Urlaubsanspruch nach Zeitabschnitten entsprechend der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht berechnet werden.
Bei einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell sind Arbeitnehmer in der Freistellungsphase weder aufgrund gesetzlicher Bestimmungen noch nach Maßgabe des Unionsrechts Arbeitnehmern gleichzustellen, die in diesem Zeitraum tatsächlich gearbeitet haben. Diese Grundsätze gelten auch für den vertraglichen Mehrurlaub, wenn die Arbeitsvertragsparteien für die Berechnung des Urlaubsanspruchs während der Altersteilzeit keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen haben.
Vorinstanz
LArbG Düsseldorf, Urt. v. 13.07.2018 - 6 Sa 272/18
Quelle: Pressemitteilung des BAG Nr. 30/2019 vom 24.09.2019
Newsletter 09/2019-I: Tariflicher Zuschlag – Oster-/Pfingstsonntag als hohe Feiertage
LAG Düsseldorf, Urteil vom 22.02.2019 - 6 Sa 996/18
Ostersonntag und Pfingstsonntag können hohe Feiertage sein
Ostersonntag und Pfingstsonntag sind keine gesetzlichen Feiertage; insofern erfolgt die Vergütung von Arbeitszeit oft mit Sonntagszuschlägen. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf stellt jedoch auf den Wortlaut des zu Grunde liegenden Manteltarifvertrags ab und klassifiziert im vorliegenden Fall die beiden Feiertage als hohe Feiertage mit entsprechend höheren Feiertagszuschlägen.
Nachfolgend die Pressemitteilung des LArbG Düsseldorf vom 18.04.2019:
Tariflicher Zuschlag für Ostersonntag und Pfingstsonntag
Das LArbG Düsseldorf hat entschieden, dass Oster- und Pfingstsonntag hohe Feiertage im Sinne von § 4 MTV sind und daher Arbeitnehmer, die an diesen Tagen arbeiten, Anspruch auf einen erhöhten Tarifzuschlag haben.
Der Kläger war seit 1998 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Backwarenindustrie beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Betriebe und Betriebsabteilungen der Brot- und Backwarenindustrie, die Betriebe der Großbäckereien und die Betriebe des Brot- und Backwarenvertriebs für das Land Nordrhein-Westfalen (MTV) Anwendung. In § 4 MTV waren folgende Zuschläge vorgesehen. Arbeit an Sonntagen: unter drei Stunden 75% (1,75faches Entgelt je Stunde), mehr als drei Stunden 50% (1,5faches Entgelt je Stunde); Arbeit an gesetzlichen Wochenfeiertagen 150% (2,5faches Entgelt je Stunde); Arbeit an hohen Feiertagen (Neujahr, Ostern, 1. Mai, Pfingsten und Weihnachten) 200% (3faches Entgelt je Stunde). Bis einschließlich 2016 zahlte die Arbeitgeberin für Oster- und Pfingstsonntag den Zuschlag in Höhe von 200%. Im Jahr 2017 informierte sie die Mitarbeiter, dass für diese Tage nur noch Sonntagszuschläge gezahlt würden, weil es sich bei diesen Tagen nicht um gesetzliche Feiertage handele. Der Kläger arbeitete am Ostersonntag 2017. Er begehrt mit seiner Klage 282,56 Euro weitere Feiertagsvergütung, die der Differenz zwischen Sonntagszuschlag und dem Zuschlag in Höhe von 200% entspricht, sowie die Feststellung, dass die Arbeitgeberin Oster- und Pfingstsonntag jeden Jahres als Arbeit an hohen Feiertagen mit 200% Zuschlag zu vergüten habe.
Die Klage hatte vor dem LArbG Düsseldorf Erfolg.
Auch wenn Ostersonntag kein gesetzlicher Feiertag ist, handelt es sich nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts um einen hohen Feiertag i.S.v. § 4 MTV. Dies ergebe die Auslegung. Nach dem allgemeinen Sprachverständnis umfasse der Begriff hoher Feiertag zumindest die hohen christlichen Feste Weihnachten, Ostern und Pfingsten in Gänze und damit unter Einbezug von Oster- und Pfingstsonntag. Der Klammerzusatz in § 4 MTV definiere die hohen Feiertage u.a. als Ostern und Pfingsten. Diese Feste umfassten den Oster- und Pfingstsonntag. Auch der erkennbare Sinn und Zweck spreche für eine Zahlung des erhöhten Zuschlages für Arbeit an Oster- und Pfingstsonntagen. Die Arbeitnehmer sollen für die besondere Belastung entschädigt werden, die sich daraus ergebe, dass sie bestimmte als besonders wichtig erachtete Tage nicht frei bestimmt – insbesondere im Kreise der Familie – verbringen könnten, sondern stattdessen Arbeitsleistungen erbringen müssten. Diese Beeinträchtigung liege am Ostersonntag mindestens in gleicher Weise – wenn nicht sogar stärker – vor wie am Ostermontag. Entsprechendes gelte für Pfingstsonntag.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen.
Vorinstanz
ArbG Duisburg, Urt. v. 21.08.2018 - 2 Ca 594/18
Newsletter 06/2019-I: Unwirksame Absenkung des Zuschlags bei Nachtschichtarbeit gegenüber Nachtarbeit
BAG 10. Senat, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17
Eine tarifvertragliche Regelung, die für Nachtarbeit einen Zuschlag von 50% zum Stundenlohn vorsieht, während Nachtarbeit im Schichtbetrieb lediglich mit einem Zuschlag von 15% vergütet wird, stellt Nachtschichtarbeitnehmer gegenüber Arbeitnehmern, die außerhalb von Schichtsystemen Nachtarbeit leisten, gleichheitswidrig schlechter.
Problemstellung
Nachtarbeit ist gesundheitsschädlich. Art. 12 der RL 2003/88/EG verpflichtet die Mitgliedsstaaten, Maßnahmen zur Sicherheit und zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei Nachtarbeit zu realisieren. In Umsetzung der Richtlinie verlangt § 6 Abs. 5 ArbZG, dass der Arbeitgeber bei geleisteter Nachtarbeit eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das Arbeitsentgelt zu gewähren hat. Die tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen sind zwar vorrangig; da die Mitgliedsstaaten solche Schutzpflichten jedoch nicht abschließend auf die Tarifvertragsparteien delegieren können (EuGH, Urt. v. 30.01.1985 - C-143/83), können tarifvertragliche Regelungen nur dann vorrangig sein, wenn sie dem Unionsrecht entsprechende Schutzmaßnahmen realisieren. Dies ist aktuell vom Sechsten Senat des BAG bekräftigt worden (BAG, Urt. v. 13.12.2018 - 6 AZR 549/17 zu nicht adäquaten Ausgleichsregelungen für Polizeiangestellte im TV AL II). Im hier zu besprechenden Fall konstatierte der Zehnte Senat, dass die Ausgleichsregelungen für Nachtschichtarbeitnehmer in der Textilindustrie im Rheinland nicht akzeptabel sind.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger arbeitet seit mehr als dreißig Jahren als Weber in einem Unternehmen der Textilindustrie mit Sitz in Düren im Rheinland. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die Textilindustrie Nordrhein Anwendung. Zwischen August 2014 und Juli 2015 leistete er im Rahmen von „Nachtschicht“ insgesamt 432 Arbeitsstunden und erhielt dafür einen tariflichen Nachtschichtzuschlag von 15%. Dagegen sieht der Tarifvertrag vor, dass für Nachtarbeitnehmer, die „Nachtarbeit“ leisten, ein Zuschlag von 50% gezahlt wird. Der Kläger hatte für diesen Zeitraum einen solchen Zuschlag von 50% erfolglos verlangt. Das Arbeitsgericht hatte seiner Klage auf die Lohndifferenz stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hatte sie abgewiesen (LArbG Köln, Urt. v. 07.09.2016 - 11 Sa 1206/15).
Das BAG gab der Revision des Klägers überwiegend statt.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung ist von großer praktischer Bedeutung, weil die im konkreten Tarifvertrag vorgenommene Differenzierung zwischen Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit zu den prägenden Elementen vieler Tarifverträge mit Regelungen zur Nachtarbeit gehört.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des Zehnten Senats des BAG hat inzwischen auch instanzgerichtliche Zustimmung gefunden (LArbG Bremen, Urt. v. 10.04.2019 - 3 Sa 12/18 zu den Nachtzuschlägen des Metall MTV Unterweser). Da die arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse zur umfassenden Belastung durch Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit als gesichert zu qualifizieren sind, ist mit weiteren Verfahren auf Zahlung der Entgeltdifferenzen zu rechnen, soweit sich die Tarifvertragsparteien nicht zu neuen und sachgerechten Regelungen durchringen können. Unabhängig davon steht den Betriebsparteien das Mitbestimmungsrecht zu, anstelle der wenig gesundheitsförderlichen Geldzuschläge eine entsprechende Erhöhung angemessener Freizeitzuschläge in Vereinbarungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu treffen (BAG, Beschl. v. 26.04.2005 - 1 ABR 1/04 - NZA 2005, 884 m. Anm. Kohte/Busch, jurisPR-ArbR 33/2015 Anm. 2; Koberski in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 4. Aufl., § 184 Rn. 45; Fitting, BetrVG, 29. Aufl. 2018, § 87 Rn. 436).
zitiert aus:
Kohte, jurisPR-ArbR 19/2019 Anm. 5
Newsletter 06/2019-II: Zeiten der An- und Abreise zu Fortbildungsveranstaltungen als vergütungspflichtige Arbeitszeit
BAG 6. Senat, Urteil vom 15.11.2018 - 6 AZR 294/17
Ordnet der Arbeitgeber die Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung an, sind die erforderlichen Reisezeiten als Arbeitszeit zu vergüten.
Problemstellung
In der Vergangenheit hat sich das BAG bereits intensiv mit der Vergütung von Reisezeiten beschäftigen müssen. Bei Außendienstmitarbeitern zählt die Fahrt zu den Kunden zur Hauptleistungspflicht und stellt damit vergütungspflichtige Arbeitszeit dar. Das gilt nicht nur für die Fahrten vom Betrieb zum Kunden und zwischen den Kunden. Auch die Fahrten zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück gehören zur Arbeitsleistung und sind grundsätzlich auch dann vergütungspflichtig, wenn die Fahrt zum Kunden von der Wohnung des Arbeitnehmers aus angetreten wird oder wenn der Arbeitnehmer vom letzten Kunden zu seiner Wohnung zurückkehrt (BAG, Urt. v. 22.04.2009 - 5 AZR 292/08). Jüngst hatte der Fünfte Senat des BAG entschieden, dass die für Hin- und Rückreise erforderlichen Zeiten wie Arbeit zu vergüten sind, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorübergehend zur Arbeit ins Ausland entsendet (BAG, Urt. v. 17.10.2018 - 5 AZR 553/17 m. zust. Anm. Boemke, jurisPR-ArbR 10/2019 Anm. 1). Nunmehr hatte der Sechste Senat darüber zu entscheiden, ob Reisezeiten zu arbeitgeberseitig angeordneten Fortbildungen vergütungspflichtige Arbeitszeit sind.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger ist bei dem Beklagten als ärztlicher Gutachter am Dienstort L beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet Kraft Bezugnahme ein Manteltarifvertrag für den Bereich des medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK-T) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Der Kläger nahm im Auftrag und im Interesse des Beklagten mehrfach an Fortbildungen teil. Der Beklagte übernahm für die Fortbildungen die Kosten einschließlich der Reisekosten in voller Höhe. Die Fortbildungszeiten sowie die Zeiten der An- und Abreise schrieb der Beklagte zunächst nicht dem Arbeitszeitkonto gut. Erst im Laufe des Rechtsstreits erklärte sich der Beklagte ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bereit, die Zeiten der Fortbildung als Arbeitszeit gutzuschreiben.
Der Kläger ist der Auffassung, sowohl die Fortbildungszeiten als auch die Zeiten für An- und Abreise seien nach § 12 Abs. 8 Satz 1 MDK-T vergütungspflichtige Arbeitszeit. Danach seien nämlich bei Dienstreisen die Zeiten „der dienstlichen Inanspruchnahme, einschließlich An- und Abreise“ als Arbeitszeit zu berücksichtigen. Der Beklagte meint demgegenüber, es handele sich hier um Reisen aus besonderem Anlass, bei denen gemäß § 10 Anlage 3 zum MDK-T der Umfang der Erstattung notwendiger Kosten mit der Genehmigung festgesetzt würde; hiervon sei auch die Vergütung als Arbeitszeit umfasst.
Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Zeiten der Fortbildung und der An- und Abreise zu den streitgegenständlichen Fortbildungsveranstaltungen als Arbeitszeit gutzuschreiben sowie festzustellen, dass „die Zeiten der An- und Abreise zu bzw. von arbeitgeberseitig angeordneten und genehmigten Fortbildungsveranstaltungen als vergütungspflichtige Arbeitszeit im Arbeitszeitkonto … gutzuschreiben“ sind. Der Antrag hatte vor dem Arbeitsgericht nur hinsichtlich der Fortbildungszeiten Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat dem Leistungsantrag des Klägers auch hinsichtlich der An- und Abreisezeiten stattgegeben. Den Feststellungsantrag hat es als unbegründeten Globalantrag zurückgewiesen (vgl. LArbG Chemnitz, Urt. v. 16.05.2017 - 3 Sa 611/16). Dieser umfasse auch die Fälle einer An- oder Abreise an einem arbeitsfreien Tag, für die § 12 Abs. 8 Satz 3 MDK-T nur die hälftige Anerkennung als Arbeitszeit vorsehe. Der Beklagte begehrt mit der Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger verfolgte den Feststellungsantrag unter Ausklammerung der Fälle der An- oder Abreise an einem arbeitsfreien Tag weiter.
Das BAG hat zugunsten des Klägers entschieden, dass die An- und Abreisezeiten vergütungspflichtige Arbeitszeiten darstellen und hat auch dem Feststellungsantrag stattgegeben.
Auswirkungen für die Praxis
Arbeitgeber haben Zeiten der An- und Abreise zu Fortbildungsveranstaltungen als Arbeitszeit zu vergüten bzw. im Arbeitszeitkonto gutzuschreiben. Grundsätzlich kann durch Arbeits- oder Tarifvertrag die Vergütung für Reisezeiten gesondert und abweichend von den allgemeinen Grundsätzen festgelegt werden (BAG, Urt. v. 26.10.2016 - 5 AZR 226/16 Rn. 23; BAG, Urt. v. 12.12.2012 - 5 AZR 355/12 Rn. 18; auch EuGH, Urt. v. 10.09.2015 - C-266/14 Rn. 47 ff. m. Anm. Boemke, jurisPR-ArbR 42/2015 Anm. 1). Hierzu bedarf es aber einer eindeutigen Regelung. Überdies dürfen Ansprüche auf den Mindestlohn nicht berührt werden, weil die Reisezeit vergütungspflichtige Arbeitszeit und damit Arbeit im Sinne des MiLoG darstellt (BAG, Urt. v. 17.10.2018 - 5 AZR 553/17 Rn. 18 m. Anm. Boemke, jurisPR-ArbR 10/2019 Anm. 1; a.A. Merkel/Götz, DB 2015, 1407, 1408).
Unter Rn. 25 hat es das BAG ausdrücklich dahinstehen lassen, „ob durch Tarifvertrag eine geringere Vergütung auch für solche Reisezeiten festgelegt werden kann, die im Zusammenhang mit einer Dienstreise und damit mit einem Dienstgeschäft stehen, das seinerseits nur vorliegt, wenn der Arbeitnehmer ihm zur (unmittelbaren) Erledigung übertragene Aufgaben erfüllt“. Dies war vorliegend nicht entscheidungserheblich. Die Erforderlichkeit einer diesbezüglichen Auseinandersetzung deutete das BAG an. Warum dies allerdings für derartige Reisezeiten unzulässig sein sollte, leuchtet nicht recht ein. Gerade die Tarifpartner haben einen grundrechtlich gesicherten (Art. 9 Abs. 3 GG), weiten Gestaltungsspielraum. Sie sind daher durchaus berechtigt, die Höhe der Vergütung an die konkret erbrachte Leistung anzuknüpfen.
zitiert aus:
Boemke, jurisPR-ArbR 21/2019 Anm. 4
Newsletter 06/2019-III: Unionsrecht gebietet Pflicht zur systematischen Arbeitszeiterfassung
EuGH, Urteil vom 14.05.2019 - C-55/18
Tenor
Die Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie von Art. 4 Abs. 1, Art. 11 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12.06.1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Auswirkungen für die Praxis
I. Notwendigkeit einer gesetzgeberischen Umsetzung
Die Auswirkungen auf die Praxis dürften immens sein. Bisher sieht das deutsche Arbeitszeitrecht in § 16 Abs. 2 ArbZG eine allgemeine Erfassung lediglich für Überstunden vor, eine Pflicht zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit besteht hingegen nur in einzelnen Branchen (§ 17 MiLoG, § 21a Abs. 7 ArbZG). Dies wird den Anforderungen des EuGH nicht genügen, war doch beides auch im spanischen Arbeitszeitrecht der Fall, ohne den EuGH von der Richtlinienkonformität einer solchen Rechtslage zu überzeugen (Rn. 52 ff.). Deutschland ist damit verpflichtet, das nationale Arbeitszeitrecht umgehend an die Vorgaben des EuGH anzupassen und Arbeitgeber zur allgemeinen Erfassung der Arbeitszeit durch ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ zu verpflichten.
Wie der EuGH ausführt, könnte die notwendige Anpassung auch dadurch geschehen, dass die nationalen Regelungen höchstrichterlich entsprechend der Vorgaben des EuGH ausgelegt werden (Rn. 69 ff.). Dies würde aber voraussetzen, dass das deutsche Arbeitszeitgesetz richtlinienkonform im Sinne einer Gewährleistung der vom EuGH verlangten Verpflichtung ausgelegt werden kann. Eine richtlinienkonforme Auslegung des ArbZG dürfte zum einen schon methodische Schwierigkeiten mit sich bringen. Hierzu müsste man die Verpflichtung zu einer generellen Zeiterfassung mitsamt der vom EuGH aufgestellten konkreten Voraussetzungen eines „objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems“ entweder in die im ArbZG vorgesehenen Ruhe- und Höchstarbeitszeiten oder in die in § 16 Abs. 2 ArbZG normierte Pflicht zur Aufzeichnung von Überstunden hineinlesen, was die Wortlautgrenze dieser Vorschriften überschreiten dürfte. In Betracht käme daher allenfalls eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung. Eine solche hätte im Hinblick auf die bußgeld- bzw. strafrechtlichen Folgen von Verstößen (§§ 22, 23 ArbZG) aber eine Kollision mit dem Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG zur Folge, sofern man nicht die entsprechenden Sanktionsanordnungen des ArbZG zusätzlich unangewendet ließe. Letzteres würde die praktische Wirksamkeit der Erfassungspflicht allerdings wiederum erheblich einschränken.
Hinzu kommt, dass die sich stellende Aufgabe nicht auf die Anerkennung einer allgemeinen Arbeitszeiterfassungspflicht beschränkt, sondern auch deren konkrete Ausgestaltung umfasst. Hierzu eröffnet der EuGH Gestaltungsspielräume (Rn. 63), deren Ausfüllung eine originäre Aufgabe des Gesetzgebers darstellt. Da die Umsetzungsfrist für die Arbeitszeitrichtlinie bereits am 01.08.2003 abgelaufen ist (Anhang I Teil B zu Artikel 27 der Richtlinie 2003/88/EG, ABl. der EU L 299/19) und sich das deutsche Arbeitszeitrecht damit in einem europarechtswidrigen Zustand befindet, hat dies umgehend zu geschehen. Vor diesem Hintergrund können die aktuellen Äußerungen des Bundeswirtschaftsministeriums, in denen die Notwendigkeit einer gesetzgeberischen Umsetzung generell sowie auch deren zeitliche Dringlichkeit infrage gestellt wird, nur überraschen (vgl. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/arbeitszeiterfassung-altmaier-will-urteil-vorerst-nicht-umsetzen-16198903.html, zuletzt abgerufen am 31.05.2019).
II. (Keine) Zeiterfassungspflicht vor Umsetzung in nationales Recht
Zu verneinen dürfte hingegen eine bereits vor der Umsetzung eintretende Horizontalwirkung zwischen Privaten sein. Der EuGH hat entgegen dem Vorschlag des Generalanwalts keine unmittelbare Horizontalwirkung von Art. 31 Abs. 2 GRCh im Hinblick auf die Ruhe- und Höchstarbeitszeiten angenommen, sondern das Grundrecht (jedenfalls in der vorliegenden Entscheidung) nur zur Auslegung der Richtlinie herangezogen. Verneint man die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung des Arbeitszeitgesetzes, so könnte sich eine vor der Umsetzung eingreifende Verpflichtung zur Zeiterfassung allenfalls aus einer unmittelbaren Geltung der Richtlinie selbst ergeben. Gegenüber staatlichen Arbeitgebern (vgl. zur Unterscheidung Schroeder in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 288 AEUV Rn. 102) wäre eine unmittelbare Richtlinienwirkung aufgrund des Zustandes der fehlenden vollständigen Umsetzung nach Ablauf der Umsetzungsfrist grundsätzlich denkbar. Jedoch wird diese Möglichkeit vom EuGH zum einen nicht erwähnt, zum anderen wäre auch die weitere Voraussetzung des Vorliegens einer „inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinenden Regelung“ (EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - C-8/81 Rn. 25 „Becker“; in Fortführung von EuGH, Urt. v. 04.12.1974 Rn. 12 ff. - C-41/74 „van Duyn/Home Office“; EuGH, Urt. v. 05.04.1979 Rn. 18ff. - C-148/78 „Ratti“) jedenfalls aufgrund der eröffneten Gestaltungsspielräume nicht erfüllt. Zulasten von Privaten hingegen kommt eine unmittelbare Richtlinienwirkung nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH schon grundsätzlich nicht in Betracht (st. Rspr. seit EuGH, Urt. v. 26.02.1986 - C-152/84 „Marshall“).
III. Inhaltliche Anforderungen an eine Umsetzungsregelung
Die entscheidende Frage für die nationale Umsetzung wird sein, wie die vom EuGH aufgestellten Vorgaben eines „objektiven, verlässlichen und zugänglichen“ Systems zu verstehen sind. Bei der Umsetzung dieser Vorgaben lässt der EuGH den Mitgliedstaaten ausdrücklich einen „Spielraum“, „die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insbesondere dessen Form, festzulegen“ (Rn. 63), was ggf. unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereiches und auch der Eigenheiten bestimmter Unternehmen wie z.B. deren Größe, geschehen könne.
1. Konkrete Vorgaben des EuGH
Für Arbeitnehmer, die ihre Tätigkeit vollständig am Betriebsort erbringen, sollten die Voraussetzungen problemlos mit einer Stechuhr oder einem entsprechenden elektronischen Zeiterfassungssystem am Ein- und Ausgang zu erfüllen sein.
Interessanter gestaltet sich die Frage, wie eine solche Erfassung hinsichtlich von im Außendienst oder Homeoffice ausgeführten Tätigkeiten zu erfolgen hat. Ein einseitiges Protokollieren bspw. per Stundenzettel oder Excel-Tabelle, welches sich auf das Auflisten der subjektiven Zählweise des Arbeitnehmers beschränkt, wird man selbst bei weiter Auslegung der Anforderungen nicht als „objektiv“ bezeichnen können, könnte es doch auch hiernach im Konfliktfall zur Aussage-gegen-Aussage-Situation mitsamt der vom EuGH monierten Beweisschwierigkeiten (Rn. 53-55) kommen. Nötig für ein „objektives“ Erfassungssystem dürfte in diesen Bereichen ein System der grundsätzlich beiderseitigen Bestätigung sein, bei dem beispielsweise der Arbeitnehmer in einer App seine Arbeitszeiten einträgt, und der Arbeitgeber diese innerhalb einer kurzen Frist aktiv bestätigen bzw. konkludent akzeptieren muss.
Diese Lösung würde auch keine relevante Verschiebung der Machtposition auf den Arbeitnehmer darstellen, setzt doch eine Tätigkeit außerhalb einer Betriebsstätte auch bisher das entsprechende Vertrauen des Arbeitgebers voraus. Erlaubt das vorhandene Vertrauen abseits fester Betriebsstätten nur eine Tätigkeit in einem Online-System, in dem das Tätigwerden „live“ nachvollzogen werden kann, so ließe sich ein Mitzählen der Arbeitszeiten innerhalb dieses Systems in technischer Hinsicht problemlos einrichten, wobei jedoch datenschutzrechtliche Grenzen zu diskutieren sein werden. Ist auch ein Tätigwerden außerhalb solcher Systeme vorgesehen, so wird dem Arbeitgeber durch die Tatsache, dass die nun benötigte Zeiterfassung im ersten Schritt durch den Arbeitnehmer erfolgt, keine weitere Unsicherheit aufgebürdet, die über die Einhaltung der auch bisher geltenden Regelungen hinausgeht. Die Erfüllung der Anforderung eines „objektiven“ Systems erfordern in einem zweiten Schritt dann aber mindestens eine Bestätigungs-Komponente von Arbeitgeberseite, die entweder ausdrücklich oder auch standardisiert erfolgen könnte. Die konkrete Ausgestaltung einer solchen Bestätigungs-Komponente dürfte auch bezüglich analoger Tätigkeiten für Diskussionen sorgen, z.B. bei Handwerkern, Service-Technikern oder auch Bauarbeitern.
Spannend dürfte indes auch die Frage werden, inwiefern die Kriterien eines „objektiven“ und „verlässlichen“ Systems dazu verpflichten, Vorkehrungen zu treffen, um Falschaufzeichnungen zu verhindern. Qualifiziert man das abendliche Lesen dienstlicher E-Mails als Arbeitszeit, so könnten – sei es aufgrund betrieblichen Drucks oder intrinsischer Motivation – auch Arbeitnehmer versucht sein, eine Aufzeichnung abendlicher Korrespondenzen zu umgehen, um eine Verschiebung des nächstmöglichen Arbeitsbeginns zu verhindern. Inwiefern ein „objektives und zugängliches System“ hier eine automatische Aufzeichnung der Zugriffe auf den dienstlichen E-Mail-Server erfordert und ob hiermit tatsächlich wie eigentlich intendiert der Arbeitnehmer geschützt wird, dürfte Gegenstand reger Diskussionen werden. Ebenso könnten Arbeitnehmer in leistungsdruck- oder konkurrenzgeprägten Situationen versucht sein, die aufgezeichneten Arbeitsstunden zu kürzen, um sich selbst als effizienter darzustellen. Dies lässt Situationen befürchten, in denen die erfasste Arbeitszeit und die Belastung, deren Begrenzung das Ziel der Erfassungspflicht bildet, auseinanderfallen. Die hier nur kursorisch angerissenen Fragen zeigen bereits anschaulich, dass eine Aufzeichnung der Arbeitszeit auch aus Arbeitnehmerschutzgesichtspunkten durchaus Probleme aufwirft, die man bei der Umsetzung der Entscheidung ins nationale Recht zu bedenken haben wird.
2. Spielräume und Ermöglichung von Ausnahmen
Die Frage nach einer Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereiches wird sich insbesondere bei Wissensarbeitern stellen. Die Ausgestaltung einer Erfassungspflicht in diesem Bereich ist eng verzahnt mit der Frage nach der Grenze zwischen Arbeits- und Freizeit, die sich insbesondere dann nur schwer beantworten lässt, wenn z.B. abseits der regulären Arbeitszeit aufkommende Ideen und hierdurch in Gang gesetzte Prozesse zu bewerten sind, die für im Angestelltenverhältnis durchgeführte Projekte oder erstellte Texte Verwendung finden. Welche Modelle unter Beachtung der Vorgaben des EuGH hier eine beiderseitig gewollte Flexibilität ermöglichen könnten, wird ebenso zu klären sein, wie die Verortung des vom EuGH eröffneten Spielraums gegenüber den in Art. 17 der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmemöglichkeiten.
zitiert aus:
Leist, jurisPR-ArbR 22/2019 Anm. 1
Newsletter 04/2019-II: Elternzeit verkürzt Jahresurlaubsdauer
LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer, Urteil vom 07.06.2018 - 26 Sa 1655/17
Elternzeit verkürzt Jahresurlaubsdauer
Leitsätze:
- Urlaubsansprüche entstehen auch in dem Zeitraum, in dem ein Belegschaftsmitglied in Elternzeit ist. Das folgt schon aus § 17 Abs. 1 BEEG, der die Kürzungsbefugnis der Arbeitgeberseite begründet, also das Entstehen des Urlaubsanspruchs voraussetzt.
- Das Kürzungsrecht in § 17 Abs. 1 BEEG stellt keinen Verstoß gegen die Richtlinie 2003/88/EG über die Gewährung von bezahltem Jahresurlaub dar.
- Im Ergebnis konnte es danach dahinstehen, ob Urlaubsansprüche auch während der Elternzeit nach § 4 Abs. 3 BUrlG verfallen können, wovon das LArbG Stuttgart (Urt. v. 07.07.2017 - 9 Sa 10/17 Rn. 40) mit der Argumentation ausgeht, dass sich § 17 Abs. 2 BEEG nur auf den Urlaub in dem Jahr beziehe, in dem der Urlaub wegen des Beginns der Elternzeit nicht angetreten werden konnte.
Mit der zu erwartenden Folgeentscheidung des BAG im Anschluss an die EuGH-Rechtsprechung steht die Klärung an, dass Arbeitgeber, wie in § 17 Abs. 1 BEEG vorgesehen, zur Kürzung des Jahresurlaubs von Arbeitnehmern/innen berechtigt sind, die vom Recht auf Elternzeit Gebrauch machen. Zu beachten bleibt, dass die Kürzung nicht automatisch von Gesetzes wegen geschieht, sondern als Gestaltungsrecht von einer wirksamen und vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erfolgenden Kürzungserklärung abhängt, deren Zugang der Arbeitgeber im Streitfall beweisen muss.1
1Quelle:
Zitiert aus Göhle-Sander, jurisPR-ArbR 12/2019 Anm. 5
Newsletter 04/2019-I: Bonusregelung mit Stichtagsklausel in AGB: Unwirksamkeit einer Klausel mit Mischcharakter
LArbG Köln 4. Kammer, Urteil vom 11.12.2018 - 4 Sa 51/18
Vergütung von Reisezeiten - Auslandsentsendung
Eine Bonusregelung mit Stichtagsklausel verstößt gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn der Bonusanspruch auch von der persönlichen Leistung des Arbeitnehmers abhängt. Dies gilt auch dann, wenn der Stichtag innerhalb des Bezugsjahres liegt.
In der Praxis kommen Fragen zur Wirksamkeit arbeitsvertraglicher Bonusregelungen und auch zur Zahlungsplicht von variabler Vergütung sehr häufig vor. Insbesondere in älteren Verträgen finden sich vielfach noch Bonus-, Gratifikations- oder Sonderzahlungsklauseln mit Stichtagsregel. Hier gilt es, die jeweilige Klausel ganz genau dahingehend zu prüfen, ob etwa der Anspruch auch von einer Gegenleistung des Arbeitnehmers, also seiner erbrachten Arbeitsleistung, abhängt oder aber, unabhängig davon, der Arbeitgeber ausschließlich die Betriebstreue des Arbeitnehmers mit einer Prämie und Zahlung honorieren will.
Hierbei ist allerdings auch zu beachten, dass bei der Prüfung der Zulässigkeit solcher Klauseln etwa die Bezeichnung des Anspruchs, z.B. als „Weihnachtsgratifikation“, nicht maßgeblich ist (vgl. hier LArbG Hamm, Urt. v. 21.04.2016 - 15 Sa 1780/15). In der dortigen Entscheidung hatte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine freiwillige Weihnachtsgratifikation in monatlicher Zahlweise gewährt und eine Rückzahlungspflicht bei Ausscheiden vor dem Stichtag vereinbart. Die monatliche Zahlung wertete das Landesarbeitsgericht als Indiz für den Entgeltcharakter der „Weihnachtsgratifikation“. Mangels anderer Anhaltspunkte oder Klarstellung in der Klausel, z.B. dass hiermit allein die Betriebstreue belohnt werden soll, blieb der Arbeitgeber trotz Ausscheidens seines Arbeitnehmers weiter in der Zahlungspflicht.
Es kommt daher maßgeblich auf den Wortlaut der Klausel und auch die Begleitumstände im Arbeitsverhältnis an. Arbeitgebern ist mithin anzuraten, die Klauseln unmissverständlich im Hinblick auf den Grund und Zweck der Zahlung zu formulieren.
Quelle:
zitiert aus Nier, jurisPR-ArbR 13/2019 Anm. 6
Newsletter 02/2019-I: Vergütung von Reisezeiten
BAG, Urteil vom 17.10.2018 - 5 AZR 553/17
Vergütung von Reisezeiten - Auslandsentsendung
Im Oktober 2018 urteilte das Bundesarbeitsgericht über die Vergütung von Reisezeiten (Urt. v. 17.10.2018 - 5 AZR 553/17). Der seinerzeitigen Pressemitteilung folgte kürzlich die Urteilsbegründung des BAG, aus der sich Konsequenzen für die betriebliche Praxis ergeben.
Grundsätzlich erbringt der Arbeitnehmer mit dem - eigennützigen - Zurücklegen des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück keine Arbeit für den Arbeitgeber.
Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. In diesem Falle gehört das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, weil das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit darauf gerichtet ist, Kunden aufzusuchen - sei es, um dort Dienstleistungen zu erbringen, sei es, um Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen. Dazu gehört zwingend die jeweilige An- und Abreise, unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen. Dasselbe gilt für Reisen, die wegen einer vorübergehenden Entsendung zur Arbeit ins Ausland erforderlich sind.
Das BAG stellt in seinem Urteil heraus, dass die Vergütungspflicht von der Qualifikation der Reisezeit als Arbeitszeit unabhängig ist; eine schutzrechtliche Qualifikation als Arbeitszeit ist für die Vergütungspflicht nicht entscheidend, ebenso wenig wie die Herausnahme der Reisezeit aus der Arbeitszeit.
Vielmehr sind erforderliche Reisezeiten mit der für die eigentliche Tätigkeit vereinbarten Vergütung zu bezahlen, sofern nicht durch Arbeits- oder Tarifvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung hierfür eingreift.
Kurz zusammengefasst ergibt sich aus dem Urteil des BAG kein genereller Anspruch auf Vergütung aller Reisezeiten von Arbeitnehmer – ein solcher Anspruch ist abhängig von der Erbringung einer arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflicht wie oben erwähnt. Die Vergütung von Reisezeiten bleibt grundsätzlich gestaltbar – z.B. mittels Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag. Reisezeiten sind nicht zwingend schutzrechtliche Arbeitszeit, so daß Reisezeiten weiterhin auch nach Ausschöpfung der werktäglichen Höchstarbeitszeit (10,0h/Tag bzw. durchschnittlich 8,0h/Tag oder 48,0h/Woche) geleistet werden können.
Ergeben sich durch das Urteil Änderungen in Ihrer SAP-Zeitauswertung und Ihrer Entgeltabrechnung? Wir unterstützen Sie gerne – ggf. in Zusammenarbeiten mit renommierten Juristen - bei der fachlich-juristischen Einordnung der Reisezeiten Ihrer Mitarbeiter und der exakten Abbildung Ihrer Anforderungen im SAP-System.
Newsletter 01/2019-I: Mehrarbeitszuschläge für Teilzeitbeschäftigte - Änderung Ihrer Zuschlagsvergütungen?
BAG, Urteil vom 19.12.2018 - 10 AZR 231/18
Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitarbeit
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer Grundsatzentscheidung vom 19.12.2018 seine Rechtsprechung zum Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge für Teilzeitbeschäftigte geändert.
Die bisherige Rechtsprechung sah es als zulässig an, dass teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer erst ab Überschreitung der Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten Ansprüche auf Mehrarbeitszuschläge haben. Bereits im Urteil vom 23.03.2017 (Az. 6 AZR 161/16) des sechsten Senats des BAG wurde diese Praxis angezweifelt; Gegenstand dieses Urteils waren Überstundenzuschläge für Schichtarbeit im öffentlichen Dienst (TVöD).
Der zehnte Senat des BAG schloss sich dieser Auffassung nun mit dem genannten Grundsatzurteil an; so stellt es einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot von Teilzeitbeschäftigten (§ 4 Abs. 1 TzBfG) dar, wenn Teilzeitbeschäftigte erst bei Überschreitung der wöchentlichen Sollzeit von Vollzeitbeschäftigten Mehrarbeitszuschläge beanspruchen könnten.
Was bedeutet dies juristisch und in der Folge für Ihre SAP-Zeitauswertung?
Sind Sie nun gezwungen, die SAP-Lohnartengenerierung für Teilzeitbeschäftigte zu ändern und zusätzliche Zuschlagsvergütungen vorzunehmen?
Dies hängt von den bei Ihnen geltenden Zuschlagsregelungen ab. Zwar gibt es keinen gesetzlichen Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge für Arbeitnehmer; ein solcher Anspruch kann sich jedoch aus einem Tarifvertrag, Arbeitsvertrag oder aus Betriebsvereinbarungen ergeben.
Insofern ist genau zu prüfen, ob für Ihre Teilzeitmitarbeiter entsprechende Zuschlagsregelungen gelten und ob diese weiteren Bedingungen unterliegen (Beispiel: Zuschlagsvergütung nur bei Überschreitung der monatlichen Sollzeit von Vollzeitarbeitskäften).
Wir bieten Ihnen gerne Unterstützung bei der fachlichen Ausarbeitung dieses Themas und / oder der technischen Umsetzung in Ihrem SAP-System an.
Pressemitteilung des BAG Nr. 70/18 vom 19.12.2018:
Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitarbeit
Eine Regelung in einem Tarifvertrag kann im Einklang mit § 4 Abs. 1 TzBfG* dahin auszulegen sein, dass Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitbeschäftigten für die Arbeitszeit geschuldet sind, die über die Teilzeitquote hinausgeht, die Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit jedoch nicht überschreitet.
Die Klägerin ist bei der Beklagten als stellvertretende Filialleiterin in Teilzeit tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Systemgastronomie Anwendung. Er regelt ua. Mehrarbeitszuschläge und erlaubt es, wie im Fall der Klägerin eine Jahresarbeitszeit festzulegen. Für den nach Ablauf des Zwölfmonatszeitraums bestehenden Zeitsaldo hat die Beklagte die Grundvergütung geleistet. Sie hat dagegen keine Mehrarbeitszuschläge gewährt, weil die Arbeitszeit der Klägerin nicht die einer Vollzeittätigkeit überschritt. Die Klägerin verlangt Mehrarbeitszuschläge für die Arbeitszeit, die über die vereinbarte Arbeitszeit hinausging.
Die Vorinstanzen haben der Klage überwiegend stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zehnten Senat mit Blick auf die Mehrarbeitszuschläge keinen Erfolg. Die Auslegung des Tarifvertrags ergibt, dass Teilzeitbeschäftigte mit vereinbarter Jahresarbeitszeit einen Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge für die Arbeitszeit haben, die über ihre individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgeht. Diese Auslegung entspricht höherrangigem Recht. Sie ist mit § 4 Abs. 1 TzBfG vereinbar. Zu vergleichen sind die einzelnen Entgeltbestandteile, nicht die Gesamtvergütung. Teilzeitbeschäftigte würden benachteiligt, wenn die Zahl der Arbeitsstunden, von der an ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entsteht, nicht proportional zu ihrer vereinbarten Arbeitszeit vermindert würde. Der Zehnte Senat gibt seine gegenläufige Ansicht auf (BAG 26. April 2017 - 10 AZR 589/15 -). Er schließt sich der Auffassung des Sechsten Senats an (BAG 23. März 2017 - 6 AZR 161/16 - BAGE 158, 360).
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2018 - 10 AZR 231/18 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Januar 2018 - 2 Sa 1365/17 -
*§ 4 Abs. 1 TzBfG lautet:
1Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. 2Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.
Hinweis: Der Senat hat am 19. Dezember 2018 über vier weitere parallel gelagerte Sachverhalte entschieden (- 10 AZR 617/17, 10 AZR 618/17, 10 AZR 140/18 und 10 AZR 232/18 -). Die auf Mehrarbeitszuschläge gerichteten Klagen hatten Erfolg.
Newsletter 10/2018-I: Verzugspauschale bei verspäteter Zahlung des Arbeitsentgelts?
BAG, Urteil vom 25. September 2018 - 8 AZR 26/18 -
Das Bundesarbeitsgericht befasste sich mit der Frage, ob ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung von Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB bei Verzug des Arbeitgebers mit der Entgeltzahlung besteht.
Pressemitteilung des BAG Nr. 46/2018 v. 25.09.2018:
Die Parteien streiten in der Revision noch über die Zahlung von Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB.
Der Kläger ist langjährig bei der Beklagten beschäftigt. Er hat diese auf Zahlung rückständiger Besitzstandszulagen für die Monate Mai bis September 2016 in Anspruch genommen. Zudem hat er von der Beklagten wegen Verzugs mit der Zahlung der Besitzstandszulage für die Monate Juli bis September 2016 die Zahlung von drei Pauschalen à 40,00 Euro nach § 288 Abs. 5 BGB verlangt. Insoweit hat er die Ansicht vertreten, § 288 Abs. 5 BGB sei auch im Arbeitsrecht anwendbar. Die Beklagte hat demgegenüber im Wesentlichen eingewandt, § 288 Abs. 5 BGB sei im Arbeitsrecht gemäß § 12a ArbGG ausgeschlossen. Zudem lägen die Voraussetzungen des § 288 Abs. 5 BGB nicht vor, da sie sich nicht schuldhaft in Verzug befunden habe.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten, mit der diese sich gegen ihre Verurteilung zur Zahlung der Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB wendet, war vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolgreich. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Pauschalen. Zwar findet § 288 Abs. 5 BGB grundsätzlich auch in Fällen Anwendung, in denen sich der Arbeitgeber mit der Zahlung von Arbeitsentgelt in Verzug befindet. Allerdings schließt § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG als spezielle arbeitsrechtliche Regelung nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch wegen erstinstanzlich entstandener Beitreibungskosten, sondern auch einen entsprechenden materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch und damit auch den Anspruch auf Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB aus.
Vorinstanz
LArbG Düsseldorf, Urt. v. 10.10.2017 - 8 Sa 284/17
Newsletter 10/2018-II: Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auch für Zeit des Elternurlaubs?
EuGH, Urteil vom 04. Oktober 2018 in der Rechtssache C - 12/17
Der EuGH hat entschieden, dass bei der Festsetzung der Dauer des Jahresurlaubs die Zeit, in der sich der Arbeitnehmer im Elternurlaub befunden hat, nicht als Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung berücksichtigt werden muss.
Frau M.D., Richterin am Tribunal Botoșani (LG Botoșani), nahm vom 01.10.2014 bis 03.02.2015 Mutterschaftsurlaub. Vom 04.02. bis 16.09.2015 nahm sie Elternurlaub für die Erziehung eines Kindes im Alter von unter zwei Jahren. Während dieses Zeitraums war ihr Arbeitsverhältnis ausgesetzt. Vom 17.09. bis 17.10.2015 nahm sie 30 Tage bezahlten Jahresurlaub. Auf der Grundlage des rumänischen Rechts, das einen Anspruch auf 35 Tage bezahlten Jahresurlaub vorsieht, beantragte Frau M.D. beim Gericht ihrer Verwendung, ihr den Restanspruch von fünf Tagen bezahltem Jahresurlaub für 2015 zu gewähren. Das Tribunalul Botoșani (Landgericht Botoșani) lehnte diesen Antrag ab, da nach rumänischem Recht die Dauer des bezahlten Jahresurlaubs an die Zeit tatsächlicher Arbeitsleistung innerhalb des laufenden Jahres gebunden sei und die Dauer des Elternurlaubs, der ihr 2015 gewährt wurde, bei der Berechnung der Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht als Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung angesehen werde. Dagegen hat Frau M.D. Klage bei den rumänischen Gerichten erhoben. Vor diesem Hintergrund fragt die Curtea de Apel Cluj (Berufungsgerichtshof Cluj, Rumänien) den EuGH, ob das Unionsrecht (Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. 2003, L 299, 9) einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegensteht, nach der bei der Festsetzung der Dauer des Jahresurlaubs die Zeit, in der sich der Arbeitnehmer im Elternurlaub befunden hat, nicht als Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung berücksichtigt wird.
Der EuGH hat entschieden, dass eine nationale Bestimmung, wonach bei der Berechnung der Dauer des einem Arbeitnehmer gewährleisteten bezahlten Jahresurlaubs die Dauer eines von dem Arbeitnehmer genommenen Elternurlaubs nicht berücksichtigt wird, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Der Zeitraum eines Elternurlaubs kann einem Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung nicht gleichgestellt werden, so der EuGH.
Nach Auffassung des EuGH hat nach dem Unionsrecht jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen. Dieser Anspruch sei ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union. Sein Zweck – es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen – beruhe auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet habe. Ein Mitgliedstaat könne jedoch in bestimmten besonderen Situationen, in denen Arbeitnehmer nicht in der Lage seien, ihre Aufgaben zu erfüllen, z.B. weil sie wegen einer ordnungsgemäß belegten Krankheit oder eines Mutterschaftsurlaubs fehlten, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht von der Voraussetzung abhängig machen, dass die Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet haben. Frau M.D., die während des Bezugszeitraums Elternurlaub genommen habe, befinde sich jedoch nicht in einer solchen besonderen Lage.
In diesem Zusammenhang stellt der EuGH fest, dass zum einen das Eintreten einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nicht vorhersehbar und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig ist. Außerdem leide ein Arbeitnehmer im Elternurlaub unter keinen durch eine Erkrankung hervorgerufenen physischen oder psychischen Beschwerden, so dass er sich in einer anderen Lage befinde. Zum anderen solle der Mutterschaftsurlaub dem Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach ihrer Schwangerschaft und der besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind während der an Schwangerschaft und Entbindung anschließenden Zeit dienen. Diese Situation unterscheide sich also auch von der eines Arbeitnehmers im Elternurlaub. Unter diesen Umständen kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens der Zeitraum des Elternurlaubs, den der betreffende Arbeitnehmer während des Bezugszeitraums genommen hat, bei der Berechnung seiner Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub einem Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung nicht gleichgestellt werden kann. Demnach sei eine Bestimmung des nationalen Rechts, wonach bei der Berechnung der Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub in einem Bezugszeitraum die Dauer eines von dem Arbeitnehmer in diesem Zeitraum genommenen Elternurlaubs nicht als Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung angesehen wird, mit dem Unionsrecht vereinbar.
Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 149/2018 v. 04.10.2018
Newsletter 08/2018-I: Gesetzliche Ruhepausen gemäß § 4 ArbZG
Arbeitszeitreport Deutschland 2016
Um eine gesetzliche Ruhepause i.S.v. § 4 ArbZG handelt es sich nur,
- wenn zeitliche Lage und Dauer der Pause vor deren Beginn feststehen;
- wenn die Pause die Arbeitszeit unterbricht, also weder unmittelbar am Anfang oder am Ende einer Schicht liegt;
- wenn der Arbeitnehmer während der Pause keinerlei Arbeitspflicht unterliegt und sich auch nicht für eventuell anfallende Arbeitsleistung bereithalten muss;
- wenn er grundsätzlich seinen Aufenthaltsort während der Pause frei wählen kann, also nicht verpflichtet ist, sich an seinem Arbeitsplatz aufzuhalten.
Im Jahre 2016 hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) eine repräsentative Untersuchung zur tatsächlichen Arbeitszeit in Deutschland veröffentlicht, die auf der Befragung von mehr als 17.000 Beschäftigten beruht (siehe Link zum "Arbeitszeitreport Deutschland 2016" unten, zuletzt abgerufen am 10.07.2018). Auf Seite 30 des Arbeitszeitreports wird dokumentiert, dass im Durchschnitt mehr als 20% der Beschäftigten ihre gesetzliche Pause nicht nehmen („Auswahl von Arbeitspausen“).
Der Hauptgrund für die Nichteinhaltung der gesetzlichen MIndestpausen liegt in einem "Zuviel an Arbeit". Dies schlägt sich auch in der Anzahl der arbeitsgerichtlichen Verfahren wider, die die Einhaltung des gesetzlichen Pausenanspruchs aus § 4 ArbZG zum Inhalt haben; diese haben spürbar zugenommen und mehrfach auch das BAG erreicht.
In einem vom LArbG Köln entschiedenen Fall (LArbG Köln 7. Kammer, Urteil vom 16.02.2017 - 7 Sa 577/16) wurde einer Angestellten die Gutschrift von zeitlichen Pausenabzügen zugesprochen, weil die als Pause gewerteten Zeitspannen nicht den Anforderungen des § 4 ArbZG entsprachen.
Auswirkungen für die Praxis:
Die Einhaltung der gesetzlichen Pausenvorschriften gewinnt zunehmende Beachtung und sollte vom Arbeitgeber sichergestellt und ggf. innerbetrieblich sauber geregelt werden.
In der betrieblichen Praxis treffen wir seit vielen Jahren auch auf Unsicherheiten, wie gesetzliche Pausenzeiten (0,5h Pausen nach 6,0h Arbeitszeit) zu verrechnen sind, wenn der Mitarbeiter seine Anwesenheitszeit am Arbeitsplatz z.B. nach 6:14h beendet.
- Muss die volle Pausenzeit von 30 Minuten abgezogen werden, mit der Folge einer mit 5:44h gewerteten Arbeitszeit?
- Muss eine Pausenzeit von 15 Minuten abgezogen werden, mit der Folge einer mit 5:59h gewerteten Arbeitszeit?
- Handelt es sich bei den 14 über sechs Stunden hinausgehenden Minuten um Pausenzeit, die nicht am Ende liegen darf?
- Handelt es sich überhaupt um Pausenzeit im Sinne des § 4 ArbZG, wenn nach 6,0h die Arbeitszeit endet (Pausenzeit ist keine Arbeitszeit)?
Diese Fragen begegnen uns in der Praxis häufig - analog auch für Pausenzeiten nach 9 Stunden Arbeitszeit ; hier besteht aus unserer Sicht weiterhin juristischer Klärungsbedarf.
Newsletter 08/2018-II: Abgeltung oder Verfall nicht genommenen Urlaubes
Pressemitteilung des EuGH
Nach Ansicht des Generalanwaltes Yves Bot kann der Umstand, dass ein Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt hat, allein nicht automatisch den Verlust des Anspruchs auf eine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub bewirken.
Weise der Arbeitgeber jedoch nach, dass er mit der notwendigen Sorgfalt gehandelt habe, um den Arbeitnehmern die Ausübung ihres Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu ermöglichen, und dass trotz der von ihm getroffenen Maßnahmen der Arbeitnehmer aus freien Stücken auf die Ausübung dieses Anspruchs verzichtet habe, obwohl er dies während des Arbeitsverhältnisses hätte tun können, so könne der Arbeitnehmer die Vergütung nicht beanspruchen, so der Generalanwalt.
Nach Abschluss seines Rechtsreferendariats beim Land Berlin beantragte Herr Sebastian K. eine finanzielle Abgeltung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub. Er hatte sich nämlich dafür entschieden, in den letzten fünf Monaten seines Referendariats keinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dieser Antrag wurde u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass die geltende deutsche Regelung (Verordnung über den Erholungsurlaub der Beamten und Richter vom 26.04.1988) einen solchen Abgeltungsanspruch nicht vorsehe. Nach dieser Regelung (in der Auslegung einiger nationaler Gerichte) erlischt der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub am Ende des Bezugszeitraums, wenn der Arbeitnehmer innerhalb dieses Zeitraums keinen Urlaubsantrag gestellt hat. Dieses Erlöschen des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub hat den Verlust des Anspruchs auf finanzielle Abgeltung des bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs zur Folge. Das von Herrn K. angerufene OVG Berlin-Brandenburg fragt den EuGH, ob das Unionsrecht solchen nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht.
Herr Tetsuji S. war über zehn Jahre aufgrund mehrerer befristeter Verträge bei der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (einer gemeinnützigen Organisation des Privatrechts) beschäftigt. Am 23.10.2013 erfuhr er, dass sein Arbeitsvertrag nicht verlängert werde. Gleichzeitig forderte die Max-Planck-Gesellschaft ihn auf, vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses Ende Dezember 2013 seinen Urlaub zu nehmen. Da er nur zwei Tage Urlaub nahm, forderte er die Max-Planck-Gesellschaft zur Zahlung einer Abgeltung von 51 nicht genommenen Jahresurlaubstagen aus den letzten beiden Jahren auf. Nachdem die Max-Planck-Gesellschaft sich geweigert hatte, dem nachzukommen, wandte sich Herr S. an die deutschen Arbeitsgerichte. Das BAG führte aus, dass nach der für Herrn S. geltenden deutschen Regelung (Bundesurlaubsgesetz - BUrlG) der Arbeitnehmer unter Angabe seiner Wünsche bezüglich der zeitlichen Festlegung des Urlaubs diesen beantragen müsse, damit der Urlaubsanspruch am Ende des Bezugszeitraums nicht ersatzlos untergehe. Das BAG möchte vom EuGH wissen, ob das Unionsrecht einer solchen Regelung entgegensteht, und bejahendenfalls, ob dies auch in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen gilt.
Generalanwalt Yves Bot hat zunächst darauf hingewiesen, dass nach der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG (ABl 2003, L 299, 9) jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen habe. Dieser Anspruch solle es dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen. Die Zahlung einer finanziellen Vergütung, die den bezahlten Mindestjahresurlaub ersetzen solle, sei nur möglich, wenn das Arbeitsverhältnis beendet sei.
Zu verweisen sei auch auf die Rechtsprechung des EuGH, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen sei. Einmal erworben, könne dieser Anspruch nach Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums nicht erlöschen, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage gewesen sei, seinen Urlaub zu nehmen. Daher habe ein Arbeitnehmer, der aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses auszuüben, Anspruch auf eine finanzielle Vergütung.
Der Generalanwalt schlägt dem EuGH insbesondere vor, zu antworten, dass die Richtlinie nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie den hier fraglichen entgegenstehe, wonach ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verliere, wenn er während des bestehenden Arbeitsverhältnisses keinen Antrag auf Gewährung dieses Urlaubs gestellt habe und nicht nachweise, dass es ihm unmöglich gewesen sei, den Urlaub aus von seinem Willen unabhängigen Gründen zu nehmen, ohne dass zuvor geprüft werde, ob der betreffende Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber auch tatsächlich in die Lage versetzt worden sei, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben.
Der Generalanwalt schlägt ferner vor, zu antworten, dass ein nationales Gericht, das mit einem Rechtsstreit über den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub befasst sei, prüfen müsse, ob der Arbeitgeber nachweislich geeignete Maßnahmen ergriffen habe, um zu gewährleisten, dass der betreffende Arbeitnehmer seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub während dieses Arbeitsverhältnisses tatsächlich habe ausüben können. Weise der Arbeitgeber nach, dass er mit der notwendigen Sorgfalt gehandelt habe und dass trotz der von ihm getroffenen Maßnahmen der Arbeitnehmer aus freien Stücken und bewusst darauf verzichtet habe, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wahrzunehmen, obwohl er dies hätte tun können, so habe der Arbeitnehmer keinen Anspruch aus der Richtlinie auf Zahlung einer finanziellen Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub.
Dabei stützt sich der Generalanwalt darauf, dass die Richtlinie, wie der EuGH festgestellt habe, als Regel vorschreibe, dass der Arbeitnehmer normalerweise über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen können müsse, damit ein wirksamer Schutz seiner Gesundheit und seiner Sicherheit sichergestellt sei.
Der Arbeitgeber trage eine besondere Verantwortung dafür, dass die seiner Weisungsbefugnis unterstehenden Arbeitnehmer ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich wahrnähmen. Daher müsse der Arbeitgeber konkrete organisatorische Maßnahmen ergreifen, die geeignet seien, den Arbeitnehmern die Ausübung ihres Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu ermöglichen. Insbesondere müsse er den Arbeitnehmern rechtzeitig und klar mitteilen, dass ihr Urlaub, wenn sie ihn nicht tatsächlich nähmen, möglicherweise am Ende des Bezugs- oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfalle. Er müsse sie auch darüber informieren, dass sie keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung des bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs würden geltend machen können, wenn sie ihren Urlaub nicht während des bestehenden Arbeitsverhältnisses nähmen, obwohl sie tatsächlich die Möglichkeit dazu hätten. Diese Pflicht des Arbeitgebers gehe allerdings nicht so weit, von ihm zu verlangen, dass er seine Arbeitnehmer zwinge, die ihnen zustehenden Ruhezeiten tatsächlich in Anspruch zu nehmen.
Ferner sei darauf zu achten, dass die in der Richtlinie vorgesehene Möglichkeit, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses den bezahlten Mindestjahresurlaub durch Zahlung einer finanziellen Vergütung zu ersetzen, von den Arbeitnehmern nicht als Mittel dafür benutzt werden könne Urlaubstage anzusammeln, um sie sich bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vergüten zu lassen. Der Schutz von Sicherheit und Gesundheit des Arbeitnehmers liege nicht nur in dessen individuellem Interesse, sondern auch im Interesse seines Arbeitgebers sowie der Allgemeinheit.
Zur Situation von Herrn K. weist der Generalanwalt darauf hin, dass in dem Fall, dass die Feststellungen des vorlegenden Gerichts ergeben sollten, dass das Land Berlin als Arbeitgeber von Herrn K. es diesem ermöglicht habe, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben, und dass er trotzdem seinen Urlaub nicht vor der erfolgreichen Ablegung seiner mündlichen Prüfung des Zweiten Staatsexamens habe nehmen wollen, dieses Gericht werde annehmen können, dass ihm eine finanzielle Vergütung zu Recht verweigert worden sei.
In Bezug auf die Problematik, dass eine Richtlinie nur die Mitgliedstaaten bindet, die sie in nationales Recht umsetzen müssen, und daher in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen (wie dem zwischen Herrn S. und der Max-Planck-Gesellschaft) grundsätzlich nicht unmittelbar angewandt werden kann, weist der Generalanwalt darauf hin, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auch durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleistet sei (Art. 31 Abs. 2 der Charta).
Nach Ansicht des Generalanwalts kann die Charta, soweit sie einem Arbeitnehmer den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub gewährleiste, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage gewesen sei, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub während des Arbeitsverhältnisses tatsächlich auszuüben, von dem Arbeitnehmer im Rahmen eines Rechtsstreits mit seinem Arbeitgeber unmittelbar geltend gemacht werden, um die Anwendung einer nationalen Regelung auszuschließen, die verhindere, dass eine solche Vergütung gezahlt werde (für Einzelheiten zur unmittelbaren Wirkung von Art. 31 Abs. 2 der Charta vgl. Rechtssache C-569/16.)
Konkret zum Fall von Herrn S. führt der Generalanwalt aus, dass er – selbst wenn es Sache des BAG sei, dies abschließend zu bewerten – bezweifele, dass die Max-Planck-Gesellschaft mit der notwendigen Sorgfalt gehandelt habe, um Herrn S. in die Lage zu versetzen, den ihm zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Die ausweislich der Akten einzige Maßnahme bestehe nämlich darin, dass die Max-Planck-Gesellschaft Herrn S. am 23.10.2013 aufgefordert habe, seinen Urlaub zu nehmen, während er zur gleichen Zeit erfahren habe, dass sein Arbeitsvertrag nicht verlängert werde. Wegen der kurzen Zeitspanne zwischen dieser Maßnahme und dem Ablauf des befristeten Vertrages von Herrn Shimizu am 31.12.2013 stelle sich diese Maßnahme als verspätet dar, so dass sie nicht als geeignet angesehen werden könne, diesem Arbeitnehmer eine tatsächliche Ausübung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu ermöglichen.
Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 71/2018 v. 29.05.2018
Newsletter 07/2018-I: Kein Ausgleich von überdurchschnittlicher Arbeitszeit durch Urlaubs- und Feiertage
Kein Ausgleich von überdurchschnittlicher Arbeitszeit durch Urlaubs- und Feiertage
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass Urlaubs- und gesetzliche Feiertage bei der Berechnung der Höchstarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz nicht als Ausgleichstage berücksichtigt werden dürfen. Das gilt auch für Urlaubstage, die über den gesetzlichen Mindesturlaub hinaus gewährt werden, sowie für gesetzliche Feiertage, die auf einen Werktag fallen.
Das klagende Universitätsklinikum Köln führt für die bei ihm beschäftigten Ärzte sogenannte Arbeitszeitschutzkonten, um die Einhaltung der höchstzulässigen Arbeitszeit im Jahresdurchschnitt sicherzustellen. Dabei werden die wöchentliche Höchstarbeitszeit als Soll verbucht und die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden als Haben erfasst. Tage des gesetzlichen Mindesturlaubs werden so verbucht, als sei an ihnen regulär gearbeitet worden. Darüber hinausgehende Urlaubstage und gesetzliche Feiertage, die auf einen Werktag fallen, wertete der Kläger hingegen als Ausgleichstage mit einer geleisteten Arbeitszeit von null Stunden. Damit konnten diese Tage zum Ausgleich für überdurchschnittlich geleistete Arbeit an anderen Tagen herangezogen werden. Die Bezirksregierung Köln untersagte diese Praxis des Klägers, weil sie darin einen Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz sah. Die hiergegen erhobene Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Urlaubstage dürfen, auch wenn sie über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehen, bei der Berechnung der durchschnittlichen Höchstarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz nicht als Ausgleichstage herangezogen werden. Aus dem systematischen Zusammenhang des Arbeitszeitgesetzes und des Bundesurlaubsgesetzes ergibt sich, dass als Ausgleichstage nur Tage dienen können, an denen der Arbeitnehmer nicht schon wegen Urlaubsgewährung von der Arbeitspflicht freigestellt ist. Ebenso wenig dürfen gesetzliche Feiertage, die auf einen Werktag fallen, bei der Berechnung der durchschnittlichen Höchstarbeitszeit als Ausgleichstage herangezogen werden. Gesetzliche Feiertage sind keine Werktage und grundsätzlich beschäftigungsfrei. Daher werden sie bei der Berechnung der werktäglichen Höchstarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz nicht in den Ausgleich einbezogen.
Unionsrecht steht dem nicht entgegen. Die Arbeitszeitrichtlinie der Europäischen Union, die zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer erlassen wurde, verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung eines Mindeststandards, ohne darüber hinausgehende, den Standard verbessernde nationale Regelungen auszuschließen.
Vorinstanzen:
VG Köln, Urt. v. 22.11.2012 - 1 K 4015/11
OVG Münster, Urt. v. 23.06.2016 - 4 A 2803/12
Fundstelle: Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig Nr. 30/2018 vom 09.05.2018
Newsletter 07/2018-II: Fachaufsatz zum Kabinettsbeschluss vom 13.06.2018: Brückenteilzeit
Die Brückenteilzeit nach dem Kabinettsbeschluss vom 13.06.2018
A. Die gescheiterte Neuregelung der Teilzeitarbeit in der 18. Wahlperiode
Im Koalitionsvertrag der dritten Großen Koalition für die abgelaufene 18. Legislaturperiode war zwischen CDU/CSU und SPD am 16.12.2013 1 (im Folgenden „Koalitionsvertrag 2013“) die Änderung des Teilzeitrechts vereinbart worden. Dennoch dauerte es drei Jahre, bis das BMAS zur Umsetzung der Vereinbarung schritt. Es legte am 21.12.2016, kurz bevor das Wahlkampfjahr für die neue Legislatur ausbrach, den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts 2 vor. Dieser erreichte noch nicht einmal die Kabinettsreife. In der sog. Frühkoordination stoppte der Kanzleramtsminister das Vorhaben, bevor der Referentenentwurf der Bundesregierung in der Kabinettssitzung vorgelegt werden konnte. Grund für den Stopp war der Widerstand aus dem Wirtschaftsflügel der Union. Es wurde eingewandt, der Entwurf gehe über die im Koalitionsvertrag vereinbarte Regelung hinaus.
B. Der Neustart mit dem Referentenentwurf zur Einführung einer Brückenteilzeit
Der zwischen CDU/CSU und SPD geschlossene neue Koalitionsvertrag vom 12.03.2018 3 (im Folgenden „Koalitionsvertrag 2018“) hat das Vorhaben zur Reform des Teilzeitarbeitsrechts wieder aufgenommen. Aufgrund der vorherigen Erfahrungen ließ die SPD für die vierte Große Koalition einen aus fünf Punkten bestehenden Katalog konkreter Änderungen in den Koalitionsvertrag aufnehmen. Darunter sind die Voraussetzungen eines Anspruchs auf zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit festgelegt. 4 Nach der Vereinbarung soll frühzeitig in der 19. Legislaturperiode die Einführung eines „Rechts auf befristete Teilzeit“ im Rahmen einer Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes erfolgen.
Dazu legte das BMAS am 17.04.2018 einen Referentenentwurf zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts vor. Der Präsident der BDA Kramer rügte, dass in dem Gesetzentwurf zur geplanten Brückenteilzeit aus Arbeitgebersicht „rote Linien“ überschritten würden. Abzulehnen sei vor allem, dass das geplante Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit auch für längst bestehende Teilzeitverhältnisse gelten solle. Die Union als Koalitionspartnerin nahm zwar diesen letztlich gegen die Koalitionsvereinbarung gerichteten Angriff nicht auf, machte aber erneut geltend, die konkreten Festlegungen im Koalitionsvertrag seien überschritten. Darauf wurde zur Ausräumung der Vorbehalte der Union am 24.05.2018 ein überarbeiteter Entwurf vorgelegt. Aber auch dieser fand noch keine Zustimmung. Darauf machte der Arbeitsminister einen weitgehenden Kompromissvorschlag, der mit einer Einschränkung der Ansprüche der Teilzeitbeschäftigten auf Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit verbunden war. 5 Zur Ausräumung letzter Widerstände wandte der Minister das in Arbeitsrechtsfragen beliebte Verfahren an, nicht selbst die Verantwortung zu übernehmen, sondern sich in einem dem Trilog 6 ähnlichen Verfahren, informell vorab der Zustimmung von BDA und DGB zu vergewissern. Die auf dieser Grundlage zustande gekommene dritte Fassung des Referentenentwurfs wurde mit den übrigen Ministerien abgestimmt. Danach ist sie am 12.06.2018 dem Kabinett zugeleitet worden. Sie hat am 13.06.2018 den zustimmenden Beschluss im Kabinett gefunden. Der Entwurf wird folglich demnächst in den Bundesrat eingebracht. Unter der Voraussetzung, dass die vierte Große Koalition bis dahin hält, ist zu erwarten, dass der Entwurf im Herbst 2018 Gesetz wird.
C. Überblick über die Inhalte des Gesetzentwurfs
Der Gesetzentwurf trägt die Bezeichnung „Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts - Einführung einer Brückenteilzeit“. 7 Er besteht aus drei Artikeln.
Artikel 1: Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes
§ 7: Ein Absatz mit einer allgemeinen Pflicht des Arbeitgebers zur „Erörterung" von Wünschen zur Veränderung der Arbeitszeit wird eingefügt.
§ 8: Es wird die Überschrift geändert: „§ 8 Zeitlich nicht begrenzte Verringerung der Arbeitszeit“.
§ 9: Bei der Verlängerung der Arbeitszeit wird dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die Ablehnung des Verlängerungswunsches auferlegt.
§ 9a: Es wird eine neue Vorschrift mit der Überschrift „Zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit“
eingeführt. Diese neue Norm regelt die sog. Brückenteilzeit.
§ 12: Die Regelung der Arbeit auf Abruf wird mehrfach geändert: Bei „Nullstunden-Verträgen“ wird die Mindestzahl der Wochenstunden von 10 auf 20 Wochenstunden heraufgesetzt. Es wird der Anteil der einseitig vom Arbeitgeber abrufbaren zusätzlichen Arbeit auf 25% der vereinbarten wöchentlichen Mindestarbeitszeit begrenzt. Bei einer vereinbarten Höchstarbeitszeit wird das Verringerungsvolumen auf 20% begrenzt.
§ 22: Die bislang für die zeitlich nicht begrenzte Verringerung der Arbeitszeit möglichen Abweichungen durch und aufgrund eines Tarifvertrags werden auf die zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit in § 9a erweitert.
Artikel 2: Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch
§ 7c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c SGB IV: Die Regelung stellt eine Folgeänderung zur Einfügung des § 9a dar. Es wird die Inanspruchnahme des insolvenzgeschützten Wertguthabens sowohl für die zeitlich begrenzte wie für die zeitlich unbegrenzte Teilzeitarbeit gestattet.
Artikel 3: Inkrafttreten
Das Gesetz tritt am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Kalendermonats in Kraft.
I. Erörterungsanspruch der Beschäftigten
In § 7 TzBfG wird ein neuer Absatz 2 eingefügt und der alte Absatz 2 wird zu Absatz 3:
„(2) 1Der Arbeitgeber hat mit dem Arbeitnehmer dessen Wunsch nach Veränderung von Dauer oder Lage oder von Dauer und Lage seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zu erörtern. 2Dies gilt unabhängig vom Umfang der Arbeitszeit. “
Die neue Vorschrift verpflichtet den Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer oder einer Arbeitnehmerin deren Wunsch auf Änderung der bestehenden vertraglichen Arbeitszeit zu erörtern. Der erörterungsbedürftige Wunsch kann die Veränderung der Arbeitszeit in drei Konstellationen betreffen:
1. Dauer oder
2. Lage oder
3. Dauer und Lage.
§ 7 Abs. 2 TzBfG betrifft gleichermaßen Verringerungswünsche nach den §§ 8, 9a und Verlängerungswünsche nach § 9 TzBfG. Er verpflichtet alle Arbeitgeber unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer er beschäftigt. Der Anspruch aus § 7 Abs. 2 TzBfG wird nicht durch § 8 Abs. 3 TzBfG verdrängt. Dort ist dem Arbeitgeber die Erörterung des Arbeitszeitverringerungswunsches lediglich als Obliegenheit auferlegt. Die Nichtbeachtung der Obliegenheit des § 8 Abs. 3 TzBfG führt nur zu einem rechtlichen Nachteil. Der Arbeitgeber kann einem geltend gemachten Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit nicht solche Einwendungen entgegenhalten, die im Rahmen einer Erörterung des Teilzeitbegehrens hätten ausgeräumt werden können. 8
Weiter wird in § 7 TzBfG Abs. 2 ein neuer Satz 3 eingefügt:
„(2) 3Der Arbeitnehmer kann ein Mitglied der Arbeitnehmervertretung zur Unterstützung oder Vermittlung
hinzuziehen.“
II. Anspruch auf unbefristete Verringerung der Arbeitszeit
Die neue Überschrift für § 8 TzBfG bewirkt eine Klarstellung, dass dort die unbefristete Verringerung geregelt wird: „§ 8 Zeitlich nicht begrenzte Verringerung der Arbeitszeit“. In Absatz 2 Satz 1 werden nach dem Wort „Beginn“ die Wörter „in Textform“ eingefügt. Damit wird bestimmt, dass der Antrag auf Verringerung der Arbeitszeit in Textform zu erfolgen hat. Dies dient einer erleichterten Beweisführung. Zudem soll die Textform die Arbeitnehmer vor einer übereilten Geltendmachung einer Arbeitszeitverringerung schützen, die sie später bereuen, weil sie daran gebunden sind.
III. Anspruch auf befristete Verringerung der Arbeitszeit
Mit dem neu eingefügten § 9a Abs. 1 TzBfG soll die Brückenteilzeit eingeführt werden. Nach § 9a Abs. 1 TzBfG des Entwurfs kann ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, verlangen, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit für einen im Voraus zu bestimmenden Zeitraum verringert wird. Der begehrte Zeitraum muss mindestens ein Jahr und darf höchstens fünf Jahre betragen. Allerdings fehlt eine Regelung des Mindest- und Höchstumfanges des Verringerungswunsches, wie sie bei der Elternteilzeit nach § 16 Abs. 7 Nr. 3 BEEG vorgegeben ist. Der Arbeitnehmer hat nur dann einen Anspruch auf zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit, wenn der Arbeitgeber in der Regel mehr als 45 Arbeitnehmer beschäftigt. Hier hat der Gesetzgeber bei § 16 Abs. 7 Nr. 1 BEEG eine Anleihe gemacht, jedoch den dortigen Schwellenwert von 15 auf 45 verdreifacht.
Der Arbeitgeber kann das Verlangen des Arbeitnehmers nach Verringerung der Arbeitszeit ablehnen, soweit betriebliche Gründe entgegenstehen. Zusätzlich ist für die Ablehnung eine Überlastquote vorgesehen. Ein Arbeitgeber, der in der Regel mehr als 45, aber nicht mehr als 200 Arbeitnehmer beschäftigt, kann das Verlangen eines Arbeitnehmers auch ablehnen, wenn zum Zeitpunkt des begehrten Beginns der verringerten Arbeitszeit bereits übermäßig viele andere Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit nach § 9a Abs. 1 TzBfG verringert haben. Maßgebend sind dafür auf die Regelbeschäftigung von Arbeitnehmern durch den Arbeitgeber abstellende Schwellenwerte. § 9a Abs. 2 Satz 2 TzBfG lautet wie folgt:
„Ein Arbeitgeber, der in der Regel mehr als 45, aber nicht mehr als 200 Arbeitnehmer beschäftigt, kann das Verlangen eines Arbeitnehmers auch ablehnen, wenn zum Zeitpunkt des begehrten Beginns der verringerten Arbeitszeit bei einer Arbeitnehmerzahl von in der Regel
1. mehr als 45 bis 60 bereits mindestens vier,
2. mehr als 60 bis 75 bereits mindestens fünf,
3. mehr als 75 bis 90 bereits mindestens sechs,
4. mehr als 90 bis 105 bereits mindestens sieben,
5. mehr als 105 bis 120 bereits mindestens acht,
6. mehr als 120 bis 135 bereits mindestens neun,
7. mehr als 135 bis 150 bereits mindestens zehn,
8. mehr als 150 bis 165 bereits mindestens elf,
9. mehr als 165 bis 180 bereits mindestens zwölf,
10.mehr als 180 bis 195 bereits mindestens 13,
11. mehr als 195 bis 200 bereits mindestens 14
andere Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit nach Absatz 1 verringert haben.“
Der Entwurf lässt als Ablehnungsgründe zwar nur „betriebliche Gründe“ zu, stellt aber bei der Überlastquote auf den Arbeitgeber und damit nicht auf den Betrieb, sondern auf das Unternehmen ab, das mehrere Betriebe umfassen kann. Das passt nur schwer zusammen. Es ist zu besorgen, dass Probleme aus der Verteilung der Verringerungen auf die einzelnen Betriebe entstehen. Der Gesetzgeber ist gut beraten, das zu ändern.
In § 9a Abs. 4 TzBfG des Entwurfs sind Vorkehrungen dagegen getroffen, dass Beschäftigte, denen der Arbeitgeber ihre befristeten Verringerungswünsche erfüllt, während der Dauer der zeitlich begrenzten Verringerung der Arbeitszeit ihren Arbeitgeber mit neuen Wünschen überziehen. Der Arbeitnehmer kann in der bewilligten Zeitdauer weder eine weitere Verringerung noch eine Verlängerung seiner Arbeitszeit nach § 9 TzBfG verlangen. Ebenso schließt 9a Abs. 5 TzBfG des Entwurfs aus, dass der Arbeitnehmer, der nach einer zeitlich begrenzten Verringerung der Arbeitszeit zu seiner ursprünglich vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zurückgekehrt ist, unmittelbar danach wieder ein Verringerungsverlangen geltend macht. Der Beschäftigte kann die erneute Verringerung der Arbeitszeit frühestens ein Jahr nach der Rückkehr zur ursprünglichen Arbeitszeit verlangen.
IV. Berücksichtigung von Wünschen nach Arbeitszeitverlängerung
Die in § 9 TzBfG geregelte Berücksichtigung der Wünsche nach Verlängerung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten wird in dem Entwurf neu gefasst:
„Der Arbeitgeber hat einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, der ihm in Textform den Wunsch nach einer Verlängerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt hat, bei der Besetzung eines Arbeitsplatzes bevorzugt zu berücksichtigen, es sei denn, dass
1. es sich dabei nicht um einen entsprechenden freien Arbeitsplatz handelt oder
2. der teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer nicht mindestens gleich geeignet ist wie ein anderer vom Arbeitgeber
bevorzugter Bewerber oder
3. Arbeitszeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer oder
4. dringende betriebliche Gründe entgegenstehen.“
Der Arbeitgeber hat – wie bisher – bei der Besetzung eines entsprechenden freien Arbeitsplatzes bei ihm beschäftigte Teilzeitkräfte bevorzugt zu berücksichtigen. Neu ist, dass der oder die Teilzeitbeschäftigte zuvor ihren Wunsch nach Verlängerung der Arbeitszeit in Textform anzeigen müssen. Der Entwurf möchte den Teilzeitbeschäftigten die Durchsetzung ihres Anspruches auf bevorzugte Berücksichtigung erleichtern. Die Neufassung überträgt die Darlegungs- und Beweislast auf den Arbeitgeber, wenn er die Ablehnung auf einen Grund stützt, der in der mit „es sei denn“ eingeleiteten Aufzählung enthalten ist. Das ist sachgerecht, denn der Arbeitgeber ist derjenige, der die Verhältnisse am besten kennt.
Völlig neu ist der angefügte Satz 2: „Ein freier zu besetzender Arbeitsplatz liegt vor, wenn der Arbeitgeber die Organisationsentscheidung getroffen hat, diesen zu schaffen oder einen unbesetzten Arbeitsplatz neu zu besetzen.“
Dieser Satz ist im Rahmen des informellen Trilogs eingefügt worden und stellt das Kompromissangebot des Ministers dar. Damit weist der Entwurf den Stellenzuschnitt der Organisationsentscheidung dem Arbeitgeber zu. Hierzu soll nach der ministeriellen Begründung auch die Festlegung der Lage der Zeit für die Erbringung der Arbeitsleistung gehören. 9 So kann in dem in der Begründung angeführten Beispiel in einem Filialbetrieb mit starkem Arbeitsanfall lediglich am Vormittag ein Arbeitnehmer, der am Vormittag arbeitet und seine Arbeitszeit verlängern möchte, nicht verlangen, dass der Arbeitgeber eine für den Vormittag ausgeschriebene Stelle so ändert, dass der Arbeitnehmer zusätzlich auch am Nachmittag arbeiten kann. Die Begründung 10 stellt auch klar, dass die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers nicht zur Umgehung des § 9 TzBfG genutzt werden darf. Dazu wird auf die Rechtsprechung 11 Bezug genommen, dass arbeitsplatzbezogene Sachgründe für eine Organisationsentscheidung des Arbeitgebers bestehen müssen, weitere Teilzeitarbeitsplätze ohne höhere Arbeitszeit einzurichten. Es wird auch auf die Entscheidungen des BAG Bezug genommen, die zur Definition des „entsprechenden“ Arbeitsplatzes ergangen sind. 12 Danach ist dieser regelmäßig gegeben, wenn auf diesem die gleiche oder eine zumindest vergleichbare Tätigkeit auszuüben ist, wie sie die oder der Teilzeitbeschäftigte schuldet. Beide Tätigkeiten müssen in der Regel dieselben Anforderungen an die persönliche und fachliche Eignung der Arbeitnehmerin beziehungsweise des Arbeitnehmers stellen.
Als ein entsprechender Arbeitsplatz gilt auch ein Arbeitsplatz mit höherwertiger Tätigkeit, wenn die oder der Teilzeitbeschäftigte vor der Arbeitszeitverringerung bereits eine höherwertige Tätigkeit ausgeübt haben und nur wegen der Teilzeitmöglichkeit auf eine niedrigere Hierarchiestufe gewechselt sind. Bei dem Arbeitsplatz kann es sich auch um einen neu eingerichteten Arbeitsplatz handeln. Kein freier Arbeitsplatz liegt jedoch nach der in Bezug genommenen Rechtsprechung vor, wenn der Arbeitgeber ein freies Arbeitszeitvolumen zur Erhöhung der Arbeitszeit bereits beschäftigter Teilzeitarbeitnehmer zur Verfügung stellt. 13
Fußnoten:
1) „Deutschlands Zukunft gestalten“, Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vom 16.12.2013 („Koalitionsvertrag 2013“).
2) Zum Inhalt des Referentenentwurfs und zu seiner kritischen Würdigung: Boecken/Hackenbroich, DB 2018, 956.
3) „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“ vom 12.03.2018 („Koalitionsvertrag 2018“).
4) Vgl. Koalitionsvertrag 2018, S. 52 f., Zeilen 2380 bis 2400.
5) SPON, Kompromiss bei Rückkehr in Vollzeit vom 13.06.2018, abrufbar unter: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/brueckenteilzeit-kabinett-beschliesst-recht-auf-befristeteteilzeit-a-1212687.html, zuletzt abgerufen am 19.06.2018.
6) Zum Trilog von Rat, Kommission und Parlament in der EU vgl. Franchino/Mariotto, „Explaining negotiations in the conciliation committee“ in: European Union Politics. September/vol.14, Nr. 3, 2013, 34.
7) Gesetzentwurf der Bundesregierung, abrufbar unter: http://www.bmas.de/Shared-Docs/Downloads/DE/PDF-Gesetze/Regierungsentwuerfe/reg-weiterentwicklungteilzeitrecht.pdf;jsessionid=706E172A781A0432B9AC9C2B68BEE3E1?__blob=publicationFile&
v=2, zuletzt abgerufen am 19.06.2018.
8) So BAG, Urt. v. 08.05.2007 - 9 AZR 1112/06 - NJW 2007, 3661, 3662; BAG, Urt. v. 18.02.2003 - 9 AZR 356/02 - NZA 2003, 911, 913.
9) Kabinettsvorlage vom 12.06.2018, S. 15, 16.
10) Kabinettsvorlage vom 12.06.2018, S. 16.
11) BAG, Beschl. v. 01.06.2011 - 7 ABR 117/09; BAG, Urt. v. 15.08.2006 - 9 AZR 8/06.
12) BAG, Urt. v. 16.09.2008 - 9 AZR 781/07; BAG, Urt. v. 17.10.2017 - 9 AZR 192/17.
13) BAG, Urt. v. 17.10.2017 - 9 AZR 192/17.
Autor: Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Erscheinungsdatum: 27.06.2018
zitiert aus: Düwell, jurisPR-ArbR 26/2018 Anm. 1
Newsletter 07/2018-III: Fachaufsatz zum Kabinettsbeschluss vom 13.06.2018: Arbeit auf Abruf
Arbeit auf Abruf nach dem Kabinettsbeschluss vom 13.06.2018
A. Einleitung
Zwar steht die Brückenteilzeit im Mittelpunkt des „Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts – Einführung einer Brückenteilzeit“ 1, den das Bundeskabinett am 13.06.2018 beschlossen hat. In diesem Entwurf finden sich indes auch einige Änderungen zur Regelung der Arbeit auf Abruf in § 12 TzBfG. Sie haben zwar in der veröffentlichten Meinung nur wenig Widerhall gefunden, aber wegen des besonders schutzbedürftigen Personenkreises der in dieser – tendenziell prekären – Weise Beschäftigten haben sie einige Bedeutung und sollen nachfolgend kurz vorgestellt werden.
B. Die derzeitige Rechtslage
Die Regelungen zur Arbeit auf Abruf („KAPOVAZ“ 2) sind zunächst in § 4 BeschFG und dann leicht verändert in § 12 TzBfG aufgenommen worden. Sie eröffnen eine Arbeitsvertragsgestaltung, auf deren Grundlage der Arbeitgeber einen Teil des von ihm in der Regel allein zu tragenden Wirtschaftsrisikos auf den Arbeitnehmer abwälzen kann. Nach § 12 Abs. 1 TzBfG muss er nur schon im Arbeitsvertrag festlegen, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat. Außerdem muss der Arbeitgeber die Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit arbeitsvertraglich festlegen. Geschieht dies nicht (Null-Stunden-Verträge, z.B.: „Die Arbeitszeit richtet sich nach den betrieblichen Erfordernissen und wird vom Arbeitgeber festgesetzt.“), ist der Arbeitsvertrag nicht etwa unwirksam oder mit einer festen Beschäftigungspflicht im Umfang der regelmäßigen Arbeitszeit im betreffenden Bereich durchzuführen. Bei fehlender Angabe der Wochenarbeitszeit wird vielmehr eine vertragliche Zehn-Stunden-Woche fingiert. Fehlt die Festlegung einer täglichen Arbeitszeit, hat der Arbeitgeber die Arbeitsleistung jeweils für mindestens drei aufeinanderfolgende Stunden in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus legt der aktuell geltende § 12 TzBfG in Absatz 2 eine Vorankündigungsfrist für den einzelnen Arbeitseinsatz von vier Tagen fest und öffnet in Absatz 3 die bis dahin getroffenen Regelungen für tarifvertragliche Bestimmungen, die auch zulasten der Beschäftigten abweichen dürfen. Der Tarifvertrag muss nur Bestimmungen zur täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit und zur Vorankündigungsfrist vorsehen.
Die Rechtsprechung des BAG hat § 12 TzBfG – nach der Entstehungsgeschichte zu Recht – dahin verstanden, dass der Arbeitgeber hiermit nicht nur die Lage der Arbeitszeit flexibel bestimmen kann. Er kann auch den Umfang der von ihm geschuldeten Beschäftigung – und der davon abhängigen Bezahlung – einseitig in den gesetzlich vorgegebenen Grenzen flexibilisieren. In seiner ersten einschlägigen Entscheidung hat das BAG dann aber weiter die Festlegung einer bestimmten Stundenzahl, hier 30 Wochen-Arbeitsstunden, und eine nach Vertrag unbegrenzte Möglichkeit, Mehrstunden abzurufen, die immer wieder in einem erheblichen Umfang auch genutzt wurde, als unangemessen und nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam angesehen. Neben der festgelegten Arbeitszeit dürfe vertraglich keine Unterschreitung um mehr als 20% oder eine Überschreitung um mehr als 25% eröffnet werden. An Stelle der unwirksam festgelegten Vertragsbestimmungen trete eine vertragliche Mindestarbeitszeit im Umfang der durchschnittlichen Inanspruchnahme in der Vergangenheit, über die hinaus der Arbeitgeber 25% in Anspruch nehmen könne. 3 Später hat sich das BAG in einen gewissen Widerspruch zu dieser Entscheidung gesetzt 4: Bei einem Null-Stunden-Vertrag im eben genannten Sinne, auf dessen Grundlage der Arbeitnehmer zeitweise vollschichtig, und danach in zurückgehendem Umfang beschäftigt worden war, stehe dem Arbeitnehmer im Ergebnis Beschäftigung und – in keinem Falle für eine Existenzsicherung relevante – Bezahlung nur nach Maßgabe der im Gesetz für den Fall der Nichtregelung festgelegten Untergrenze von zehn Stunden zu. Eine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB hat das BAG in dieser Entscheidung nicht vorgenommen.
C. Der Gesetzentwurf
Mit der Begründung, dass die Arbeit auf Abruf zunehme – dies wohl auch aufgrund der nach dem Mindestlohngesetz begrenzten Möglichkeiten, im Niedriglohnbereich über die Lohnfestlegung Arbeitskosten
einzusparen –, und dass mit dieser Arbeitsform für die betroffenen Beschäftigten bisher keine ausreichende Planungs- und Einkommenssicherheit verbunden sei, sieht der vom Bundeskabinett im Anschluss an die Vereinbarung im Koalitionsvertrag beschlossene Gesetzentwurf 5 einige im Grundsatz zu begrüßende Veränderungen in § 12 TzBfG vor. Deren Verbesserung oder weitergehende Änderungen sollten aber nicht ausgeschlossen sein.
Allerdings: Die Erfahrungen mit der Arbeitsgesetzgebung der letzten Jahre stimmen skeptisch. Gesetzgebung fand hier zuletzt nicht in dem verfassungsgerichtlich für richtig gehaltenen und – in seinem Urteil zum Tarifeinheitsgesetz 6 als Regelverhalten zu Unrecht unterstellten – transparenten öffentlichen Diskurs mit dem Ziel einer Optimierung statt. War ein Gesetzentwurf einmal mit den großen Verbänden auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite abgestimmt, „das Paket geschnürt“, waren auch Weiterentwicklungen kraft besserer Einsicht erkennbar ausgeschlossen. Aber man kann vielleicht hoffen, dass das Paket noch nicht geschnürt ist.
I. Grundregeln für die Arbeit auf Abruf (§ 12 Abs. 1 und 2 [neu] TzBfG)
Die in § 12 Abs. 1 TzBfG zusammengefassten Grundregeln über die Arbeit auf Abruf sollen nur insoweit geändert werden, als im Falle einer Nichtregelung der wöchentlichen Arbeitszeit im Arbeitsvertrag statt einer Zehn-Stunden-Woche die Vereinbarung einer 20-Stunden-Woche fingiert wird. Darüber hinaus nimmt der Gesetzentwurf die Rechtsprechung aus dem Jahre 2005 in einem neuen § 12 Abs. 2 TzBfG auf: Dann, wenn für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach Abs. 1 eine Mindestarbeitszeit vereinbart ist, darf der Arbeitgeber nur bis zu 25% der wöchentlichen Arbeitszeit zusätzlich abrufen. Ist dagegen eine Höchstarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber nur bis zu 20% der wöchentlichen Arbeitszeit weniger abrufen.
Von der Verdopplung der Höhe der ggf. zu fingierenden Wochenarbeitszeit verspricht sich der Gesetzentwurf zu Recht einen Druck dahin, dass Null-Stunden-Verträge in Zukunft deutlich seltener abgeschlossen werden. Arbeitgeber, die regelmäßig in geringerem Umfang beschäftigen wollen oder jedenfalls in dieser Richtung frei sein wollen, müssen dies in Zukunft ausdrücklich in den Arbeitsvertrag schreiben und so für die Beschäftigten eine bessere Vorhersehbarkeit schaffen.
Der Gesetzgeber sollte allerdings klarstellen, dass es sich bei der im Falle eines Null-Stunden-Vertrages fingierten Wochenarbeitszeit um die wöchentliche Mindestarbeitszeit handelt. Anders lässt sich die Regel des neu geplanten § 12 Abs. 2 TzBfG nicht anwenden. Darüber hinaus sollte zur Vereinfachung der Normstruktur demjenigen, der § 12 TzBfG nutzen will, in Absatz 1 ausschließlich die Vereinbarung einer wöchentlichen Mindestarbeitszeit aufgegeben werden und der geplante § 12 Abs. 2 TzBfG insoweit ebenfalls vereinfacht werden. Es ist nicht erkennbar, welchen Sinn die Vereinbarung einer Höchstarbeitszeit bei der Arbeit auf Abruf hat. Der Arbeitgeber verliert damit Flexibilität. Der Arbeitnehmer gewinnt keinen Freiraum für die Vereinbarung eines Zweitarbeitsverhältnisses, weil dem Arbeitgeber die weitgehend unbegrenzte Freiheit bleibt, die Lage der Arbeitszeit zu bestimmen.
Einige Punkte sollen zu § 12 Abs. 1 und Abs. 2 [neu] TzBfG ergänzend angesprochen werden:
• Es ist nicht völlig klar, ob die zu fingierende, nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich auch als solche zu vereinbarende, Mindestwochenarbeitszeit in jeder Woche, im Abrechnungszeitraum oder gar in einem längeren Bezugszeitraum erfüllt sein muss. Entsprechendes gilt für die Einhaltung der Flexibilisierungsgrenzen aus dem geplanten Absatz 2. Bleibt es bei dem geplanten Wortlaut, käme es wohl auf jede Arbeitswoche an. Dies sollte in den Materialien klargestellt werden. Denkbar wäre aber auch, zur Steigerung der Flexibilisierungsmöglichkeiten für die Arbeitgeberseite eine Erfüllung der festgelegten Vorgaben nur innerhalb des jeweiligen Abrechnungszeitraums, in aller Regel also innerhalb eines Monats, zu verlangen. Bei der Festlegung eines längeren Bezugszeitraums würde allerdings das angestrebte Ziel verfehlt, den im Abrufarbeitsverhältnis stehenden Beschäftigten eine ausreichende Planungs- und Einkommenssicherheit zu geben.
• Mit der gesetzlichen Einschränkung der Möglichkeiten, Arbeit auf Abruf zu vereinbaren und durchzuführen, werden Umgehungsmöglichkeiten in den Blick kommen. Voraussehbar ist, dass versucht werden wird, ein älteres Urteil des BAG 7 durch Ausweitung seiner Aussage zu nutzen. In diesem Urteil hatte das BAG darauf erkannt, anstelle eines Abrufarbeitsverhältnisses könne im Einzelfall auch eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden, auf deren Grundlage dann erst einzelne kurz befristete Arbeitsverhältnisse vereinbart werden könnten. Eine solche Konstellation sei rechtlich möglich und unterliege nicht dem Recht und den Beschränkungen, die für die Arbeit auf Abruf gelten. Das BAG hat dabei aber deutlich gemacht, dass hierfür eine in jeder Hinsicht freiwillige Übereinkunft erforderlich ist. Es genügt nicht, dass der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer im Einzelfall das Recht eingeräumt wird, einen vom Arbeitgeber angesonnenen Arbeitseinsatz abzulehnen. Im Zweifel werden auf Abruf Beschäftigte, denen daran liegt, möglichst umfangreich eingesetzt zu werden, von einem solchen Recht im wohlverstandenen Eigeninteresse keinen Gebrauch machen. Es kann hier aber Ausnahmefälle geben. Sie können sich insbesondere aus den Begleitumständen bei Vertragsschluss und der tatsächlichen Vertragsdurchführung ergeben. Im entschiedenen Fall war es einem Studierenden darum gegangen, neben seinem Studium Erwerbsmöglichkeiten zu erschließen, seine tatsächlichen Einsätze aber mit den Anforderungen des Studiums abstimmen zu können. Es könnte sinnvoll sein, den Ausnahmecharakter einer solchen Vertragsgestaltung in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck zu bringen.
• Man sollte erwägen, die Regelung zur Dauer der täglichen Arbeitszeit in § 12 Abs. 1 Satz 4 TzBfG neu auszugestalten. Tägliche Kurzeinsätze unterhalb von drei Arbeitsstunden können für die so Beschäftigten wirtschaftlich sinnlos sein. Es gibt sicherlich aber auch Arbeitsaufgaben, die solche Einsätze sachlich gebieten, zumindest nahelegen. Es ist auch denkbar, dass die Rahmenbedingungen für Kurzeinsätze arbeitsvertraglich so ausgestaltet werden, dass sie auch für die Beschäftigten sinnvoll sind; so etwa, wenn die Fahrtkosten der Beschäftigten erstattet und/oder die Fahrtzeit als Arbeitszeit vergütet wird. Es erscheint deshalb denkbar, hinsichtlich der täglichen Arbeitszeit zu regeln: „4Die tägliche Arbeitszeit soll auf nicht weniger als drei Stunden festgelegt werden; ist sie nicht vertraglich festgelegt, hat der Arbeitgeber die Arbeitsleistung der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers jeweils für mindestens drei aufeinanderfolgende Stunden in Anspruch zu nehmen.“
• Die Konkretisierung der Lage der täglichen Arbeit hat für die auf Abruf in Teilzeit, im Zweifel also prekär, Beschäftigten erhebliche, oft existenzielle Bedeutung. Hiervon hängt vielfach ab, ob sie ein zweites Arbeitsverhältnis eingehen, es durchführen oder anderweitigen Verpflichtungen entsprechen können. Der Gesetzgeber sollte deshalb erwägen, in § 12 Abs. 1 TzBfG Vorgaben für die Ausübung dieses arbeitgeberseitigen Weisungsrechts zu machen. Zu denken wäre etwa an eine Pflicht, familiäre oder anderweitige Arbeitspflichten der Beschäftigten bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen.
II. Vorankündigungspflicht nach § 12 Abs. 2 TzBfG (= § 12 Abs. 3 [neu] TzBfG)
Die nach allgemeiner Einschätzung praktisch bedeutungslose, weil ganz überwiegend nicht eingehaltene Vorankündigungspflicht des Arbeitgebers aus § 12 Abs. 2 TzBfG soll nach dem Entwurf unverändert Inhalt eines Absatzes 3 werden. Man kann darüber streiten, ob diese Regelung nicht besser gestrichen würde. Sinnvoller könnte es sein, zu den eben vorgeschlagenen im Gesetz aufzuführenden Ermessensgesichtspunkten auch die Pflicht hinzuzufügen, den konkreten Arbeitseinsatz möglichst frühzeitig mitzuteilen. Dies wäre sicherlich nicht mehr als ein Appell, würde aber an der derzeitigen Lage auch nichts ändern. Bisher ist noch kein Fall bekannt geworden, in dem an Arbeitseinsätzen interessierte Beschäftigte nur wegen Nichteinhaltung der Vorankündigungsfrist die Arbeitsleistung – dann natürlich berechtigt – verweigert hätten. Relevant sind für sie in aller Regel materielle Gründe.
III. Entgeltfortzahlung im Abrufarbeitsverhältnis
Zur Entgeltfortzahlung im Abrufarbeitsverhältnis enthält der Gesetzentwurf entsprechend dem Auftrag des Koalitionsvertrages eine ungewöhnlich umständliche Neuregelung in § 12 Abs. 4 und 5 TzBfG:
„(4) 1Zur Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist die maßgebende regelmäßige Arbeitszeit i.S.v. § 4 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes die durchschnittliche Arbeitszeit der letzten drei Monate vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit (Referenzzeitraum). 2Hat das Arbeitsverhältnis bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit keine drei Monate bestanden, ist der Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs die durchschnittliche Arbeitszeit dieses kürzeren Zeitraums zu Grunde zu legen. 3Zeiten von Kurzarbeit, unverschuldeter Arbeitsversäumnis, Arbeitsausfällen und Urlaub im Referenzzeitraum bleiben außer Betracht. 4Für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen zur Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall finden Anwendung.
(5) Für die Berechnung der Entgeltfortzahlung an Feiertagen nach § 2 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes gilt Absatz 4 entsprechend.“
Man sollte die Gerichte für Arbeitssachen nicht unterfordern und die ungeschulten Leserinnen und Leser des Gesetzes nicht überfordern! Darüber hinaus ist der erst kurz vor dem Kabinettsbeschluss ergänzend eingefügte Satz 2 des Absatzes 4 für die Rechtsanwendung wenig hilfreich. Er soll nach der Entwurfsbegründung sicherstellen, „dass alle bestehenden gesetzlichen und sonstigen (zum Beispiel tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen) Regelungen, die für den Arbeitnehmer im Ergebnis eine günstigere Entgeltfortzahlungsberechnung darstellen, der Berechnungsvorschrift der ersten drei Sätze dieses Absatzes vorgehen.“ Hinsichtlich der arbeitsvertraglichen und tarifvertraglichen Regelungen ist dies selbstverständlich und bedarf keiner Erwähnung im Gesetz. Dass auch allgemeine gesetzliche Regelungen nach dem Günstigkeitsprinzip vorgehen sollen, ist erstaunlich und wird so durch den Gesetzeswortlaut
nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht. Darüber hinaus ist die beabsichtigte Regelung insoweit auch überschießend. Es dürfte doch nur darum gehen, das Entgeltausfallprinzip des Entgeltfortzahlungsgesetzes dann zur Geltung zu bringen, wenn aufgrund bereits erfolgter Konkretisierungen feststeht, dass eine Arbeitszeit infolge Krankheit oder aufgrund eines Feiertages ausfällt, die oberhalb des nach der Referenzmethode liegenden Durchschnitts liegt. Insgesamt soll dem Entwurf der Absätze 4 und 5 der folgende Absatz 4 gegenübergestellt werden:
„(4) 1Die Ansprüche auf Entgeltzahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz sind anhand der durchschnittlichen Arbeitszeit im tatsächlich vertragsgemäß durchgeführten Abrufarbeitsverhältnis vor dem
Ausfallzeitraum, längstens anhand des Durchschnitts der letzten drei Monate vor diesem Zeitpunkt (Referenzzeitraum) zu berechnen. 2Die tatsächliche Ausfallzeit ist zu Grunde zu legen, soweit der Arbeitgeber für den Ausfallzeitraum bereits eine höhere Einsatzzeit als die durchschnittliche bestimmt
hatte.“
IV. Die Tariföffnungsklausel
Nach dem Entwurf soll die bisherige gesetzliche Tariföffnungsklausel in § 12 Abs. 3 TzBfG nun dessen Absatz 6 werden, wobei in dessen Satz 1 die Angabe [Abs.] „2“ durch die Angabe [Abs.] „3“ ersetzt werden soll. In der Entwurfsbegründung heißt es dazu nur, es handele sich um eine Folgeänderung.
Dies ist allzu bescheiden. Immerhin wird durch die „redaktionelle Anpassung“ zugleich festgelegt, dass die gesetzliche Beschränkung der möglichen abrufbaren Zusatzarbeit (25%) tariffest sein soll. Diese Einschränkung der Tariföffnung ist zu begrüßen. Dies hängt allerdings damit zusammen, dass im Bereich der Abrufarbeit jede Tariföffnung – schon gar mit Erstreckungsklausel zugunsten von Außenseiter-Arbeitgebern – erheblichen Bedenken begegnet. Die auf diese Weise prekär Beschäftigten dürften in aller Regel nicht gewerkschaftlich organisiert sein. Es ist fraglich, ob die Tarifvertragsparteien unter diesen Umständen für eine vom Gesetz abweichende, für diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer interessen- und sachgerechte Regelung kompetent sind. Die CGZP-Spuren sollten abschrecken!
Fußnoten
1) Gesetzentwurf der Bundesregierung, abrufbar unter: http://www.bmas.de/Shared-
Docs/Downloads/DE/PDF-Gesetze/Regierungsentwuerfe/reg-weiterentwicklungteilzeitrecht.
pdf;jsessionid=706E172A781A0432B9AC9C2B68BEE3E1?__blob=publicationFile&
v=2, zuletzt abgerufen am 19.06.2018.
2) KAPOVAZ = Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit.
3) BAG, Urt. v. 07.12.2005 - 5 AZR 535/04.
4) BAG, Urt. v. 24.09.2014 - 5 AZR 1024/12 m. kritischer Anm. Hamann/Rudnick, jurisPR-ArbR 48/2014 Anm. 1; Preis/Wieg, ArbuR 2016, 313; vgl. dazu auch Bepler, FA 2016, 362.
5) Gesetzentwurf der Bundesregierung, abrufbar unter: http://www.bmas.de/Shared-Docs/Downloads/DE/PDF-Gesetze/Regierungsentwuerfe/reg-weiterentwicklungteilzeitrecht.pdf;jsessionid=706E172A781A0432B9AC9C2B68BEE3E1?__blob=publicationFile&v=2, zuletzt abgerufen am 19.06.2018.
6) BVerfG, Urt. v. 11.07.2017 - 1 BvR 1571/15 u.a. Rn. 127.
7) BAG, Urt. v. 31.07.2002 - 7 AZR 181/01.
Autor: Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Erscheinungsdatum: 27.06.2018
zitiert aus: Bepler, jurisPR-ArbR 26/2018 Anm. 2
Newsletter 04/2018-II: Leiharbeitnehmer scheitert mit Klage auf Equal Pay
Das ArbG Gießen hat auf die Klage eines Leiharbeitnehmers gegen seinen früheren Arbeitgeber auf Zahlung von Equal Pay entschieden, dass durch die Tarifverträge der Leiharbeitsbranche, abgeschlossen zwischen dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) und der DGB-Tarifgemeinschaft, in Verbindung mit dem Branchenzuschlagstarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie in zulässiger Weise vom Grundsatz des Equal Pay abgewichen wird.
Der Kläger war seit 01.02.2017 bis zum 26.07.2017 bei der Beklagten, die ein Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung betreibt, im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt. Kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme fanden auf das Arbeitsverhältnis die zwischen dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e.V. (BAP) und der DGB-Tarifgemeinschaft abgeschlossenen Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung sowie die in dem jeweiligen Einsatzbetrieb geltenden, zwischen dem BAP und der Mitgliedsgewerkschaft des DGB abgeschlossenen Tarifverträge über Branchenzuschläge Anwendung. Der Kläger war während der Zeit seiner Beschäftigung ausschließlich bei einem Unternehmen, bei dem auf die Arbeitsverhältnisse der Stammarbeitnehmer die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in Hessen Anwendung finden, eingesetzt. Er macht geltend, die Vergütung auf der Grundlage der auf sein Arbeitsverhältnis anwendbaren tarifvertraglichen Regelungen bleibe in einem Maße hinter der aufgrund der Tarifverträge in der Metall- und Elektrobranche zu zahlenden Vergütung zurück, dass jedenfalls bei gebotener richtlinienkonformer Auslegung der Tariföffnungsklausel in § 8 Abs. 2 Satz 1 AÜG die Abweichung des Lohns hiervon nicht gedeckt sei. Er habe daher einen Anspruch auf Vergütung nach den in der Metall- und Elektrobranche geltenden Regelungen.
Das ArbG Gießen hat die Klage abgewiesen.
Nach Auffassung des Arbeitsgerichts wird durch die Tarifverträge der Leiharbeitsbranche, abgeschlossen zwischen dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e.V. (BAP) und der DGB-Tarifgemeinschaft, i.V.m. dem Branchenzuschlagstarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie in zulässiger Weise vom Grundsatz des Equal Pay abgewichen. Die Richtlinie 2008/104/EG (Leiharbeitsrichtlinie) ermögliche es dem nationalen Gesetzgeber, die Abweichung vom Grundsatz der gleichen Vergütung bei Leiharbeit durch Tarifvertrag zuzulassen. § 8 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in seiner aktuellen Fassung berücksichtige den von der Richtlinie geforderten Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer in ausreichendem Maße, indem das Gesetz die Tarifvertragsparteien auf die Einhaltung jedenfalls der Lohnuntergrenze in der Leiharbeit verpflichtet und ihnen gleichzeitig eine zeitliche Grenze zur Abweichung vom Equal Pay Grundsatz sowie einen Anreiz zur zeitnahen Heranführung der Löhne an diejenigen der Stammarbeitnehmer setze. Unter Berücksichtigung der auch den Tarifverträgen in der Leiharbeitsbranche zukommenden Richtigkeitsvermutung seien nähere Vorgaben hinsichtlich der Entgelthöhe nicht geboten.
Quelle: Pressemitteilung des ArbG Gießen Nr. 1/2018 v. 14.02.2018
Newsletter 03/2018-I: Wöchentliche Ruhezeit für Arbeitnehmer innerhalb jedes Siebentageszeitraums
Der EuGH hat entschieden, dass die wöchentliche Ruhezeit für Arbeitnehmer nicht zwingend an dem auf sechs aufeinanderfolgenden Arbeitstagen folgenden Tag gewährt werden muss und daher ein Arbeitnehmer unter Umständen bis zu zwölf Tage am Stück arbeiten kann, wenn er den ersten Ruhetag zu Beginn der ersten Arbeitswoche nehmen muss und den nächsten am Ende der zweiten Arbeitswoche.
Im Ausgangsfall hatte der Beschäftigte Herr R. in einem Casino in Portugal gearbeitet. Das Casino ist mit Ausnahme des 24. Dezembers täglich vom Nachmittag bis zum folgenden Morgen geöffnet. Während der Jahre 2008 und 2009 arbeitete Herr R. manchmal an sieben aufeinanderfolgenden Tagen. Ab 2010 änderte Varzim Sol die Organisation der Arbeitszeiten, so dass die Beschäftigten an nicht mehr als sechs aufeinanderfolgenden Tagen arbeiteten. Nach der Beendigung seines Arbeitsvertrags im März 2014 erhob Herr R. Klage gegen Varzim Sol, um im Wesentlichen feststellen zu lassen, dass die Gesellschaft ihm die Pflichtruhetage, auf die er nach seiner Auffassung Anspruch hatte, nicht gewährt habe. Er forderte insoweit Entschädigungszahlungen entsprechend der Vergütung der gearbeiteten Überstunden. Nach der Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG, ABl. 2003, L 299, 9; diese Richtlinie kodifiziert mit Wirkung ab dem 02.08.2004 die Bestimmungen der RL 93/104/EG, ABl. 1993, L 307, 18 in der durch die RL 2000/34/EG, ABl. 2000, L 195, 41 geänderten Fassung) hat jeder Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum Anspruch auf eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden.
Das Tribunal da Relação do Porto (Berufungsgericht Porto) hat Zweifel in Bezug auf die Auslegung der Richtlinie und möchte vom EuGH wissen, ob die kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden, auf die ein Arbeitnehmer Anspruch hat, spätestens an dem Tag gewährt werden muss, der auf einen Zeitraum von sechs aufeinanderfolgenden Arbeitstagen folgt.
Der EuGH hat entschieden, dass die wöchentliche Ruhezeit für Arbeitnehmer nicht notwendigerweise an dem auf sechs aufeinanderfolgende Arbeitstage folgenden Tag gewährt werden muss, sondern an einem beliebigen Tag innerhalb jedes Siebentageszeitraums gewährt werden kann.
Nach Auffassung des EuGH enthält die Wendung "pro Siebentageszeitraum" keinerlei Verweisung auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten und ist somit ein autonomer Begriff des Unionsrechts, der einheitlich ausgelegt werden muss. Nach Durchführung einer Analyse von Wortlaut, Zusammenhang und Zielen der Richtlinie hat der EuGH zum Wortlaut ausgeführt, dass sich aus dem Text der Richtlinie selbst ergebe, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, zu gewährleisten, dass jedem Arbeitnehmer während eines Siebentageszeitraums eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden (zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden) zur Verfügung stehe, dass aber darin nicht festgelegt werde, zu welchem Zeitpunkt diese Mindestruhezeit zu gewähren sei.
Was den Zusammenhang betreffe, in dem die Wendung "pro Siebentageszeitraum" verwendet werde, sei festzustellen, dass dieser Zeitraum als Bezugszeitraum angesehen werden könne, d.h. als ein fester Zeitraum, innerhalb dessen eine bestimmte Anzahl aufeinanderfolgender Ruhestunden zu gewähren sei, unabhängig vom Zeitpunkt, zu dem diese Ruhestunden gewährt werden.
Im Hinblick auf das Ziel der Richtlinie schließlich sei zu sagen, dass diese den Zweck verfolge, die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer wirksam zu schützen. Jedem Arbeitnehmer müssten also angemessene Ruhezeiten zur Verfügung stehen. Allerdings lasse die Richtlinie für ihre Umsetzung eine gewisse Flexibilität zu und räume somit den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Festsetzung des Zeitpunkts, zu dem diese Mindestruhezeit zu gewähren sei, ein Ermessen ein. Diese Auslegung könne auch dem Arbeitnehmer zugutekommen, da sie es erlaube, ihm am Ende eines und am Anfang des darauf folgenden Bezugszeitraums mehrere aufeinanderfolgende Ruhetage zu gewähren. Schließlich stelle die Richtlinie nur Mindestnormen für den Schutz des Arbeitnehmers im Rahmen der Arbeitszeitgestaltung auf. Die Mitgliedstaaten dürften also für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anwenden oder erlassen oder die Anwendung von für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigeren Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern fördern oder gestatten.
Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 115/2017 v. 09.11.2017
Newsletter 03/2018-II: Keine Vergütung von Umkleidezeiten bei fehlender Betriebsvereinbarung (MTV Chemische Industrie vom 24.06.1992)
1. Einzelfallentscheidung zu der Frage der Ausgleichspflicht von Umkleidezeiten im Geltungsbereich des zwischen dem Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V. und der IG Bergbau, Chemie, Energie abgeschlossenen Manteltarifvertrag für die chemische Industrie vom 24.06.1992 in der im Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Fassung.
2. Die Regelung des § 6 Ziffer 2 des Manteltarifvertrags für die chemische Industrie in der im Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Fassung schließt eine Ausgleichsverpflichtung für Umkleidezeiten aus, solange keine entsprechende betriebliche Regelung eine solche vorsieht.
Verfahrensgegenstand/Urteil:
Das Arbeitsgericht hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Kläger in dem konkreten Fall einen Anspruch auf Ausgleich von Umkleidezeiten und der durch das Umkleiden erforderlich werdenden zusätzlichen innerbetrieblichen Wegezeiten hat.
Der klagende Arbeitnehmer trug auf Anweisung des Arbeitgebers bestimmte Arbeitskleidung, die er vor Beginn seiner Arbeit im Betrieb anlegte. Der zeitliche Zusatzaufwand für das An- und Ablegen der Arbeitskleidung und die damit verbundenen Wegezeiten innerhalb des Betriebes betrug nach Angabe des Arbeitnehmers ca. 15 Minuten pro Tag.
Auf das Arbeitsverhältnis ist der Manteltarifvertrag für die chemische Industrie vom 24.06.1992 anwendbar. Die §§ 2 und 3 enthalten Regelungen zu den Arbeitszeiten sowie zu Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit, Rufbereitschaft und Reisekosten. § 6 Ziffer 2 schreibt hinsichtlich Umkleidezeit Folgendes vor: „Ist bei der Arbeit das Tragen einer bestimmten Berufskleidung und deshalb das Umkleiden im Betrieb durch den Arbeitgeber angeordnet, wird durch eine Betriebsvereinbarung unter Berücksichtigung der jeweiligen betrieblichen Üblichkeit geregelt, ob und ggf. wie ein Ausgleich für die hierfür erforderliche Zeit erfolgt.“
Eine Betriebsvereinbarung zur Regelung des „Ob“ bzw. „Wie“ eines Ausgleichs für Umkleidezeiten bestand im Betrieb des Klägers nicht.
Das ArbG Düsseldorf hat die Klage des Arbeitnehmers auf Vergütung etwaig aufgewendeter Umkleide- und Wegzeiten abgewiesen.
Das Urteil verdeutlicht, daß Umkleidezeiten nicht nur Auseinandersetzungen auf betrieblicher Ebene (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, siehe BAG, Beschl. v. 17.11.2015 - 1 ABR 76/13), sondern auch auf individualrechtlicher Ebene nach sich ziehen können, sofern klare betriebliche Regelungen fehlen.
Für die Betriebsparteien könnte es vor dem Hintergrund dieses Urteils sinnvoll sein, die Vorschrift in § 6 Ziffer 2 MTV der chemischen Industrie entsprechend zu präzisieren. Fehlt eine solche Regelung, entfällt gemäß obiger Rechtsprechung ein Anspruch auf Vergütung von Umkleidezeiten.
Newsletter 02/2018-I: Gesetzliche Neuregelungen zum Januar 2018
Gesetzliche Neuregelungen zum Januar 2018
Die Deutsche Bundesregierung hat über die Neuregelungen, die im Januar 2018 in Kraft treten, informiert: Der gesetzliche Mindestlohn gilt ab 01.01.2018 ausnahmslos für alle Branchen, der gesetzliche Mutterschutz gilt nun auch für Schülerinnen und Studentinnen und der Rentenbeitragssatz sinkt.
I. Arbeit und Soziales
Mindestlohn von 8,84 Euro gilt ausnahmslos
Ab dem 01.01.2018 gilt der allgemeine gesetzliche Mindestlohn i.H.v. 8,84 Euro brutto je Zeitstunde ohne jede Einschränkung. Branchenregelungen, die vorübergehend Entgelte unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns ermöglichten, enden zum 31.12.2017.
Pflegemindestlohn steigt
Der flächendeckende Pflegemindestlohn steigt ab Januar 2018 auf 10,55 Euro pro Stunde im Westen und 10,05 Euro im Osten. Anfang 2019 und 2020 wird er nochmals erhöht. Das kommt vor allem Pflegehilfskräften zugute.
Mindestlohn in Aus- und Weiterbildung
Alle Aus- und Weiterbildungsdienstleister, die im Auftrag der Arbeitsagenturen und Jobcenter Menschen qualifizieren, müssen den bundesweiten Branchenmindestlohn von 15,26 Euro pro Zeitstunde bezahlen. Ab 01.01.2018 gilt er erstmalig auch für Einrichtungen, in denen Qualifizierung nicht zum Hauptgeschäft gehört.
Neuer Gleitzonenfaktor
Wer regelmäßig zwischen 450,01 und 850 Euro verdient, liegt in der Gleitzone. Für diese Beschäftigten – sog. Midijobber – wird das beitragspflichtige Arbeitsentgelt auf einen fiktiven Betrag reduziert. Dafür kommt ein Gleitzonenfaktor zum Einsatz, der auf allen Sozialversicherungsbeiträgen basiert. Er liegt 2018 bei 0,7547.
Höhere Beitragsbemessungsgrenzen
Löhne und Gehälter sind erneut gestiegen. Deshalb wird die Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung angepasst. Auch andere Rechengrößen für die Sozialversicherung ändern sich. So steigt die Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung 2018 auf 59.400 Euro jährlich (2017: 57.650 Euro). Wer mit seinem Einkommen über dieser Grenze liegt, kann sich privat krankenversichern.
Rentenbeitragssatz sinkt auf 18,6 Prozent
Der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung sinkt zum 01.01.2018 von 18,7 auf 18,6%. Die hohe Nachhaltigkeitsrücklage in der Rentenversicherung macht dies möglich. In der knappschaftlichen Rentenversicherung geht der Beitragssatz von 24,8 auf 24,7% zurück.
Renteneintritt sieben Monate später
Seit 2012 steigt die Altersgrenze für den Eintritt in die Rentenphase schrittweise an. Das heißt: Wer 1953 geboren ist und 2018 seinen 65. Geburtstag hat, geht mit 65 Jahren und sieben Monaten abschlagfrei in Rente.
Betriebsrente wird attraktiver
Eine höhere Riester-Grundzulage und Steueranreize – das sind zwei von vielen Verbesserungen bei der Betriebsrente. Ziel ist es, sie auch in kleinen und mittleren Unternehmen weiter zu verbreiten. Zudem soll die Betriebsrente für Beschäftigte mit geringen Einkommen attraktiver werden. Am 01.01.2018 tritt das Betriebsrentenstärkungsgesetz in wesentlichen Teilen in Kraft.
II. Gesundheit
Durchschnittlicher Zusatzbeitrag für gesetzliche Krankenkassen sinkt
Der allgemeine Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung beträgt 14,6%. Er ist seit 2015 gesetzlich festgeschrieben. Die Hälfte davon trägt der Arbeitnehmer, die andere Hälfte der Arbeitgeber. Benötigen die Kassen mehr Geld, können sie einkommensabhängige Zusatzbeiträge erheben. Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz sinkt 2018 auf 1,0%. Die Kassen können je nach Finanzlage davon abweichen.
Neue Saisonarbeiter-Regelung in der Krankenversicherung
Endet die Saisonbeschäftigung, so endet auch die Krankenversicherungspflicht. Die Versicherung wird nur dann fortgeführt, wenn der Saisonbeschäftigte innerhalb von drei Monaten in die freiwillige Krankenversicherung wechselt. Dazu ist ein Wohnsitz oder der ständige Aufenthalt in Deutschland nachzuweisen. Die Regelung tritt am 01.01.2018 in Kraft.
III. Frauen und Familie
Neuregelung des Mutterschutzes
Ab dem 01.01.2018 profitieren mehr Frauen vom gesetzlichen Mutterschutz. Erstmals bezieht der Mutterschutz auch Studentinnen und Schülerinnen ein. Mütter von Kindern mit Behinderung haben bereits seit Mai 2017 Anspruch auf zwölf Wochen Mutterschutz. Auch der Kündigungsschutz für Frauen, die nach der zwölften Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt hatten, gilt bereits.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Frauen verdienen im Durchschnitt immer noch etwas weniger als Männer. Mit dem Entgelttransparenzgesetz erhalten Beschäftigte einen individuellen Auskunftsanspruch: Sie haben das Recht zu erfahren, ob sie gerecht bezahlt werden. Dies gilt für Beschäftigte in Betrieben und Dienststellen mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten. Ab 06.01.2018 können Beschäftigte den Anspruch geltend machen.
Kürzere Fristen für Kindergeldantrag
Ab Januar 2018 gilt eine kürzere Frist für rückwirkende Kindergeldanträge. Eltern können dann lediglich sechs Monate rückwirkend Kindergeld erhalten. Die Neuregelung soll Betrugs- und Missbrauchsfälle verhindern.
IV. Steuern und Finanzen
Steuern: Höhere Grund- und Freibeträge
Steuerzahler profitieren 2018 von einem um 180 Euro höheren Grundfreibetrag, der dann 9.000 Euro beträgt. Der Kinderfreibetrag steigt um 72 Euro auf 4.788 Euro.
Mehr Zeit für die Steuererklärung
Das Besteuerungsverfahren in Deutschland wird modernisiert. Künftig bleibt dem Steuerpflichtigen mehr Zeit für die Abgabe der Steuererklärung, nämlich bis zum 31.07. des Folgejahres. Für Papierbelege wie Spendenquittungen gilt: aufbewahren, aber nicht mehr einreichen.
Die vollständige Pressemitteilung der Deutschen Bundesregierung finden Sie unter dem nachfolgenden Link "Fundstelle".
Newsletter 02/2018-II: Trockenes Brötchen und Kaffee gelten steuerlich nicht als Frühstück
Trockenes Brötchen und Kaffee gelten steuerlich nicht als Frühstück
Mit Urteil vom 31. Mai 2017 (Az. 11 K 4108/14) hat der 11. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass trockene Brötchen in Kombination mit Heißgetränken kein lohnsteuerpflichtiger Sachbezug in Form eines Frühstücks sind.
Die Klägerin stellte ihren Mitarbeitern Brötchen ohne Belag sowie Heißgetränke unentgeltlich zur Verfügung, die diese größtenteils in der Vormittagspause verzehrten. Das Finanzamt sah hierin eine Mahlzeit in Form eines Frühstücks, welches es mit den amtlichen Sachbezugswerten von 1,50 € bis 1,57 € je Arbeitnehmer und Arbeitstag dem Lohnsteuerabzug unterwarf.
Der hiergegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht Münster statt. Ein trockenes Brötchen und ein Heißgetränk seien kein „Frühstück“ im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG i.V.m. § 2 Abs. 1 der Sozialversicherungsentgeltverordnung.
Zu den Mindeststandards eines Frühstücks gehöre nach dem allgemeinen Sprachgebrauch daneben auch ein entsprechender Brotaufstrich. Im Streitfall liege daher zwar ein Sachbezug vor, für den allerdings die Freigrenze von 44 € pro Monat Anwendung finde, welche nicht überschritten worden sei.
Die Revision ist beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen VI R 36/17 anhängig.
Newsletter 01/2018: Anrechnung von Zulagen / Zuschlägen auf den Mindestlohn
Anrechnung einer pauschalen Zulage wegen Nachtarbeit auf Mindestlohn
Das LArbG Hamm hat entschieden, dass eine pauschale Zulage wegen Nachtarbeit mindestlohnwirksam ist und vom Arbeitgeber auf den geschuldeten Mindestlohn angerechnet werden kann (Aktenzeichen: 11 Sa 78/16).
Neben einer Grundvergütung erhält die Klägerin monatlich eine Zulage von 119,34 Euro. Diese Zulage wurde im Juli 2014 als Ausgleichsbetrag vereinbart, da der Arbeitgeber eine Reduzierung der Zuschlagszahlungen wünschte, das Einkommen der Mitarbeiterin aber nicht geschmälert werden sollte. Die Zulage hängt nicht davon ab, ob die Frau mehr oder weniger Nachtarbeit, Sonntagsarbeit oder Feiertagsarbeit erbringt. Sie war der Meinung, die Zulage dürfe nicht bei der Berechnung des Mindestlohns angerechnet werden.
Ihre Klage blieb jedoch vor dem LArbG Hamm erfolglos.
Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts muss der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn durch die monatlichen Zahlungen des Arbeitgebers erfüllt werden. Dabei regele das Gesetz nicht ausdrücklich, welche Entgeltzahlungen des Arbeitgebers auf die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns angerechnet werden. Zulagen und Zuschläge seien dann anzurechnen, wenn sie mit Rücksicht auf die Arbeitsleistungen erbracht werden. Dies seietwa bei einer pauschalen Zulage wegen Nachtarbeit der Fall.
Vorliegend habe die Klägerin beispielsweise im Jahr 2015 für tatsächlich angefallenen Nachtstunden neben der Zulage in Höhe von 119,34 Euro weiterhin gesonderte Zuschläge erhalten. Da die betreffende Zulage unabhängig von der in den einzelnen Monaten erbrachten Nachtarbeit, Sonntagsarbeit oder Feiertagsarbeit anfalle, sei sie dem monatlichen Gehalt zuzurechnen. Die Zulage sei dem Mindestlohn funktionell gleichwertig und daher zu berücksichtigen. Sie werde monatlich regelmäßig und endgültig an die Klägerin gezahlt.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Im Dezember 2017 wird das BAG über den Fall entscheiden.
Quelle: Pressemitteilung des DAV ArbR Nr. 7/2017 v. 29.11.2017
https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA171105854&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp
Anrechenbarkeit von Sonn- und Feiertagszuschlägen auf gesetzlichen Mindestlohn
Mindestlohnwirksam sind Entgeltzahlungen, die der Arbeitgeber mit Rücksicht auf das arbeitsrechtliche Austauschverhältnis erbringe. Ausgenommen sind solche Zahlungen, die ohne Rücksicht auf eine tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung erbracht werden, oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhten. Der Mindestlohn ist pro Zeitstunde - unabhängig von der zeitlichen Lage oder den Umständen der Arbeit - zu gewähren.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze sind auch Sonn- und Feiertagszuschläge mindestlohnwirksam. Es handelt sich um Entgeltzahlungen, die im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis mit Rücksicht auf die tatsächliche Arbeitsleistung erbracht werden.
Auch aus dem Arbeitszeitgesetz ergeben sich keine besonderen Zahlungspflichten für Sonn- und Feiertagsarbeit. Das Gesetz sehe anders als bei der Nachtarbeit nicht besondere Zuschläge, sondern die Gewährung von Ersatzruhetagen vor (§ 11 Abs. 3 ArbZG).
Quelle: BAG 5. Senat, Urteil vom 24.05.2017 - 5 AZR 431/16
Zitierhinweis: angelehnt an Boemke, jurisPR-ArbR 50/2017 Anm. 2
Newsletter 01/2018: Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei Anzahl Betriebsratsmitglieder
Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern beim Schwellenwert des § 38 BetrVG
Leiharbeitnehmer sind bei der Feststellung der für die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder maßgeblichen Belegschaftsstärke im Entleiherbetrieb zu berücksichtigen, wenn sie zu dem regelmäßigen Personalbestand des Betriebs gehören.
Quelle: BAG 7. Senat, Beschluss vom 18.01.2017 - 7 ABR 60/15
Newsletter 01/2018: Urlaubsberechnung bei unterjähriger Veränderung der Wochenarbeitstage (TVöD)
Anzahl der Urlaubstage bei unterjähriger Veränderung der Anzahl der Wochenarbeitstage
1. § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD a. F. ordnet die Umrechnung von Urlaubsansprüchen für den Fall an, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung abweichend vom tariflich vorgesehenen Normalfall nicht in der 5-Tage-Woche leistet. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, die Gleichwertigkeit der Urlaubsdauer unabhängig von der Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage sicherzustellen.
2. Der für die Berechnung maßgebliche Zeitpunkt ist der, zu dem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Urlaub gewährt.
3. Ändert sich die Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht, bevor der Arbeitnehmer den gesamten Urlaub in Anspruch genommen hat, ist der verbleibende Urlaubsanspruch unter Berücksichtigung des bereits vom Arbeitgeber gewährten Urlaubs zu berechnen. Dabei ist die Anzahl der zum Zeitpunkt des Wechsels noch nicht genommenen Urlaubstage mit dem Quotienten zu multiplizieren, der sich aus der Anzahl der Wochenarbeitstage unter dem neuen Arbeitszeitregime (Divident) und der Anzahl der Wochenarbeitstage unter dem alten Arbeitszeitregime (Divisor) ergibt.
4. Soweit infolge des § 26 Abs. 1 Satz 5 Hs. 2 TVöD a. F., demzufolge Bruchteile von weniger als einem halben Urlaubstag unberücksichtigt bleiben, geringfügige Abweichungen zulasten eines teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers auftreten, handelt es sich um unbedenkliche Randunschärfen, die darin begründet sind, dass die Tarifvertragsparteien den Urlaubsanspruch entsprechend dem Tagesprinzip in ganzen Tagen berechnet sehen wollen. § 4 Abs. 1 TzBfG wird dadurch nicht verletzt.
Sachverhalt
Die Klägerin ist als Erzieherin bei der Beklagten beschäftigt. Bis zum 18.8.2013 arbeitete sie in der 4-, danach in der 5-Tage-Woche. Kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit findet der TVöD Anwendung, nach dessen § 26 die Klägerin – bei einer 5-Tage-Woche – einen Anspruch auf 30 Urlaubstage hat. Für das Jahr 2013 gewährte die Beklagte der Klägerin unter Berücksichtigung von 3 aus dem Jahr 2012 übertragenen Urlaubstagen bis zur Änderung des Beschäftigungsumfangs ab dem 19.8.2013 26 Urlaubstage, danach noch einen Urlaubstag, somit insgesamt 27 Urlaubstage – 3 Tage aus 2012 und 24 Urlaubstage bezogen auf das Jahr 2013. Die Klägerin, die die Auffassung vertritt, ihr stünden im Jahre 2013 26 Urlaubstage zu, machte die Differenz von 2 Tagen geltend. Sie begründete dies damit, dass für die Frage der Urlaubsdauer eine Berechnung nach Zeitabschnitten zu erfolgen habe. Vom 1.1. bis zum 31.8.2013 stünden ihr somit bezogen auf eine 4-Tage-Woche 16 Urlaubstage zu und für den Zeitraum vom 1.9. bis zum 31.12.2013 – hier war sie in der 5-Tage-Woche tätig – 10 Tage; denn stelle man allein auf das Arbeitszeitregime zum Zeitpunkt der Urlaubsgewährung ab, führe dies zu einer Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten.
Die Entscheidung
Die Klage hatte vor dem BAG keinen Erfolg.
Nach Auffassung des Gerichts stand der Klägerin im Jahr 2013 ein Anspruch auf 27 Arbeitstage Urlaub zu – 3 Arbeitstage aus dem Jahr 2012 und 24 Arbeitstage aus dem Jahr 2013. Das Gericht führte hierzu aus, dass zu Beginn des Jahres 2013 die Klägerin einen Urlaubsanspruch im Umfang von 24 Arbeitstagen erwarb. Dies entsprach gemäß der tariflichen Regelung dem Verhältnis der Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage der Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt an 4 Arbeitstage in der Kalenderwoche arbeitete, zu der Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage verteilt auf 5 Tage in der Kalenderwoche.
Der für die Berechnung maßgebliche Zeitpunkt ist der, zu dem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Urlaub gewährt. Hat ein Arbeitnehmer – wie die Klägerin – in der 5-Tage-Woche Anspruch auf 30 Urlaubstage im Kalenderjahr und fällt der gesamte Jahresurlaub in einen Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung an 4 Werktagen in der Woche erbringt, erfüllt der Arbeitgeber seine Pflicht zur Urlaubsgewährung, wenn er den Arbeitnehmer an 24 Arbeitstagen von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freistellt, sodass die Gesamtdauer des Urlaubs 6 Wochen beträgt.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz führte nach Ansicht des BAG die unterjährige arbeitszeitliche Veränderung nicht dazu, dass die Klägerin einen Anspruch auf 2 weitere Urlaubstage erworben hat; denn im Falle eines unterjährigen Wechsels der Arbeitszeitverteilung könne die tarifliche Vorschrift des § 26 TVöD nicht dahingehend ausgelegt werden, dass der kalenderjährig bestimmte Urlaubsanspruch in Zeitabschnitte fragmentiert und damit als Summe mehrerer (Teil-)Urlaubsansprüche zu berechnen sei. Dagegen spreche, so das Gericht, bereits der Wortlaut des § 26 TVöD, da der tarifliche Referenzzeitraum für den Urlaubsanspruch das ganze Kalenderjahr und nicht, wie die Berechnung pro rata temporis voraussetzt, ein Teil desselben ist. Eine "Aufteilung des Urlaubsanspruchs in einen vor der Änderung des Arbeitszeitregimes entstandenen Anspruch und einen weiteren danach entstandenen Anspruch sei im Tarifvertrag nicht angelegt" (vgl. hierzu auch BAG, Urteil v. 10.2.2015, 9 AZR 53/14).
BAG 9. Senat, Urteil vom 14.03.2017 - 9 AZR 7/16
Newsletter 01/2018: Befristung eines Arbeitsvertrags ("Projektbefristung")
Befristung bei vorübergehendem Bedarf an der Arbeitsleistung ("Projektbefristung")
Der Arbeitgeber kann sich zur sachlichen Rechtfertigung eines befristeten Arbeitsvertrags auf eine Tätigkeit in einem zeitlich begrenzten Projekt nur dann berufen, wenn es sich bei den im Rahmen des Projekts zu bewältigenden Aufgaben um eine auf vorübergehende Dauer angelegte und gegenüber den Daueraufgaben des Arbeitgebers abgrenzbare Zusatzaufgabe handelt. Dies ist nicht der Fall bei Tätigkeiten, die der Arbeitgeber im Rahmen des von ihm verfolgten Betriebszwecks dauerhaft wahrnimmt oder zu deren Durchführung er verpflichtet ist. Deshalb kann der Arbeitgeber einen Sachgrund für die Befristung eines Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG nicht dadurch herbeiführen, dass er im Wesentlichen unveränderte Daueraufgaben in organisatorisch eigenständige "Projekte" aufteilt.
Der Sachgrund des vorübergehenden Bedarfs an der Arbeitsleistung erfordert nicht, dass der befristete Vertrag für die gesamte Laufzeit des Projekts geschlossen wird. Der Arbeitgeber kann bei Befristungen, die auf den in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG normierten Sachgrund gestützt sind, frei darüber entscheiden, ob er den Zeitraum des von ihm prognostizierten zusätzlichen Arbeitskräftebedarfs ganz oder nur teilweise durch den Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen abdeckt.
BAG 7. Senat, Urteil vom 27.07.2016 - 7 AZR 545/14
Newsletter 02/2016-I => SAP Zeitwirtschaft: Bestimmung des Umfangs der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber
Eine arbeitsvertragliche Regelung, in der sich der Arbeitgeber das Recht vorbehält, den Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit innerhalb einer bestimmten Spannbreite einseitig festzulegen, hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB nur stand, wenn die maximal abrufbare Arbeitszeit die geschuldete Mindestarbeitszeit um nicht mehr als 25% übersteigt und die Gründe für die Festlegung in der Regelung bezeichnet sind.
Darüber hinaus unterliegt die Festlegung im Einzelfall der Ausübungskontrolle nach § 106 Satz 1 GewO i.V.m. § 315 Abs. 3 BGB.
In seinem Urteil vom 16. Oktober 2014, Az. 21 Sa 903/14, bestätigte das LAG Berlin-Brandenburg die herrschende Meinung, daß Vereinbarungen über einen Änderungsvorbehalt hinsichtlich Arbeitszeitumfangs grundsätzlich zulässig sind, wenn die vereinbarte Arbeitszeit nicht um mehr als 25% überschritten bzw. nicht um mehr als 20% unterschritten wird (siehe auch die Urteile des BAG, 5 AZR 535/04 vom 07.12.2005, sowie 9 AZR 18/07 vom 14.08.2007). Dies gilt auch für Formulararbeitsverträge.
Die Aufteilung der Arbeitszeit in eine feste Sockelarbeitszeit und einen zusätzlichen, variabel abrufbaren Teil kann eine Gestaltungsmöglichkeit zur Arbeitszeitflexibilisierung sein. Bei ihrer Vereinbarung sind die Vorgaben der Rechtsprechung zu beachten. Der gewollte Änderungsumfang muss im Arbeitsvertrag angegeben sein und sich innerhalb der genannten Grenzwerte bewegen.
Sockelarbeitszeiten mit einem variablen Anteil bedürfen zur Abbildung im SAP einer genauen Analyse. Wechselnde Dauern der wöchentlichen Arbeitszeit müssen mit den vertraglichen Grundlagen zusammenpassen und entsprechend sorgfältig im SAP abgebildet, ermittelt und verrechnet werden.
Newsletter 02/2016-I => SAP Zeitwirtschaft: Bestimmung des Umfangs der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber
Eine arbeitsvertragliche Regelung, in der sich der Arbeitgeber das Recht vorbehält, den Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit innerhalb einer bestimmten Spannbreite einseitig festzulegen, hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB nur stand, wenn die maximal abrufbare Arbeitszeit die geschuldete Mindestarbeitszeit um nicht mehr als 25% übersteigt und die Gründe für die Festlegung in der Regelung bezeichnet sind.
Darüber hinaus unterliegt die Festlegung im Einzelfall der Ausübungskontrolle nach § 106 Satz 1 GewO i.V.m. § 315 Abs. 3 BGB.
In seinem Urteil vom 16. Oktober 2014, Az. 21 Sa 903/14, bestätigte das LAG Berlin-Brandenburg die herrschende Meinung, daß Vereinbarungen über einen Änderungsvorbehalt hinsichtlich Arbeitszeitumfangs grundsätzlich zulässig sind, wenn die vereinbarte Arbeitszeit nicht um mehr als 25% überschritten bzw. nicht um mehr als 20% unterschritten wird (siehe auch die Urteile des BAG, 5 AZR 535/04 vom 07.12.2005, sowie 9 AZR 18/07 vom 14.08.2007). Dies gilt auch für Formulararbeitsverträge.
Die Aufteilung der Arbeitszeit in eine feste Sockelarbeitszeit und einen zusätzlichen, variabel abrufbaren Teil kann eine Gestaltungsmöglichkeit zur Arbeitszeitflexibilisierung sein. Bei ihrer Vereinbarung sind die Vorgaben der Rechtsprechung zu beachten. Der gewollte Änderungsumfang muss im Arbeitsvertrag angegeben sein und sich innerhalb der genannten Grenzwerte bewegen.
Sockelarbeitszeiten mit einem variablen Anteil bedürfen zur Abbildung im SAP einer genauen Analyse. Wechselnde Dauern der wöchentlichen Arbeitszeit müssen mit den vertraglichen Grundlagen zusammenpassen und entsprechend sorgfältig im SAP abgebildet, ermittelt und verrechnet werden.
Newsletter 02/2016-II => SAP Zeitwirtschaft / Abrechnung : Mindestlohn und Bereitschaftsdienst TVöD
Auch nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes gibt es keinen über den tarifvertraglichen Vergütungsanspruch hinausgehenden zusätzlichen gesetzlichen Vergütungsanspruch für Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst. Die tarifvertraglichen Vergütungsregelungen im TVöD-V zu Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst sind auch nach Inkrafttreten des MiLoG weiterhin gesetzeskonform.
Nach der Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 19.11.2014 - 5 AZR 1101/12) sind auch Bereitschaftsdienstzeiten mit dem Mindestlohn zu vergüten, soweit sich aus den Mindestlohnregelungen nichts Abweichendes ergibt.
Das ArbG Aachen hatte darüber zu entscheiden, ob mit dem Grundgehalt Bereitschaftszeiten auf Grundlage des TVöD-V abgegolten oder ob diese gesondert zumindest in Höhe des Mindestlohns nach § 1 Abs. 2 MiLoG zu vergüten sind.
Nach der Entscheidung des BAG vom 19.11.2014, 5 AZR 1101/12, sind auch Bereitschaftsdienstzeiten mit dem Mindestlohn zu vergüten, soweit die maßgeblichen Mindestlohnbestimmungen insoweit keine abweichenden Regelungen enthalten. Diese Entscheidung mag man kritisieren (vgl. Boemke, jurisPR-ArbR 7/2015 Anm. 2), sie ist aber für die betriebliche Praxis zu berücksichtigen. Auch für Bereitschaftsdienstzeiten, in denen der Arbeitnehmer nicht aktiv in Anspruch genommen wird, kann er daher den Mindestlohn geltend machen (vgl. Däubler, NJW 2014, 1924, 1926; Franzen in: ErfKomm, § 1 MiLoG Rn. 4; Holm, DB 2015, 441; Lembke, NZA 2015, 70, 73; Nebel/Kloster, BB 2014, 2933; Jares, DB 2015, 307; Lambrich/Mitius, DB 2015, 126, 128).
Die Entscheidung des ArbG Aachen beschäftigt sich allerdings nicht mit dem Bereitschaftsdienst, sondern mit Bereitschaftszeiten.
Bereitschaftszeiten regeln die Zeiten, die früher im BAT und weiterhin in der Literatur sowie in der Rechtsprechung als Arbeitsbereitschaft bezeichnet werden. Dies sind Zeiten während der regelmäßigen Arbeitszeit, in denen sich der Arbeitnehmer bereithält, um seine Arbeit aufzunehmen. Allerdings müssen auch diese mit dem Mindestlohn vergütet werden (vgl. nur Lambrich/Mitius, DB 2015, 126, 128). Dies bedeutet allerdings nicht, dass Bereitschaftszeiten stets zusätzlich zum Grundlohn zu vergüten sind. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Grundlohn nur Vollarbeit oder aber auch Arbeitsbereitschaft, also Bereitschaftszeiten im Sinne des TVöD, mitumfasst. Im ersten Falle muss die Bereitschaftszeit zusätzlich vergütet werden, im zweiten Falle kommt eine ergänzende Vergütung nur dann in Betracht, wenn unter Berücksichtigung der Bereitschaftszeiten die gezahlte Vergütung umgerechnet geringer ist als 8,50 Euro/Stunde.
Ob Bereitschaftszeiten zusätzlich zu vergüten sind, muss auf Grundlage der einschlägigen vertraglichen Bestimmungen entschieden werden. Sind danach auch Bereitschaftszeiten vom Grundlohn mitumfasst, scheidet eine zusätzliche Vergütung aus, es sei denn, der Stundenlohn liegt unter Berücksichtigung sämtlicher Zeiten der Vollarbeit, der Arbeitsbereitschaft und des Bereitschaftsdiensts unter 8,50 Euro. Werden Bereitschaftszeiten vom Grundlohn nicht erfasst, dann sind diese zusätzlich zu vergüten. Die Höhe ist auf Grundlage der vertraglichen Vereinbarungen zu bestimmen; ist z.B. ein Stundenlohn vereinbart, ist im Zweifel dieser maßgeblich. Mindestens sind 8,50 Euro pro Stunde zu zahlen. Im Bereich des TVöD wird Bereitschaftszeit vergütungsrechtlich nur zu 0,5, im Sinne des Arbeitszeitschutzes aber in voller Höhe berücksichtigt. Eine zusätzliche Vergütung für Bereitschaftszeiten scheidet in den Normalfällen aus. Leistet der Arbeitnehmer 30 Stunden Vollarbeit und 18 Stunden Bereitschaftsdienst in der Woche, dann beträgt die regelmäßige, durch die Grundvergütung abgegoltene Arbeitszeit 39 Stunden, weil die Bereitschaftszeit nach § 9 Abs. 1 Satz 2 lit. a TVöD nur zur Hälfte als Tarifarbeitzeit gewertet wird.
Diese Rechtsprechung kann auch auf Bereitschaftsdienstzeiten übertragen werden. Eine gesonderte Vergütung der Bereitschaftsdienste scheidet danach aus, wenn diese vom Grundlohn mitumfasst sind. Dies muss für das jeweilige Arbeitsverhältnis beurteilt werden. Im Bereich des TVöD werden jedoch Bereitschaftsdienste vom Grundlohn nicht erfasst, weil diese außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit (§ 7 Abs. 3 TVöD) geleistet werden und dann auch zusätzlich zu vergüten sind (§ 8 Abs. 4 TVöD). Die Höhe ist auf Grundlage der vertraglichen Vereinbarungen zu bestimmen; ist z.B. ein Stundenlohn vereinbart, ist im Zweifel dieser maßgeblich.
zitiert aus: Boemke, jurisPR-ArbR 23/2015 Anm. 1
ArbG Aachen, 1. Kammer, Urteil vom 21.04.2015 - 1 Ca 448/15 h
Newsletter 02/2016-III => SAP Zeitwirtschaft / Abrechnung : Betriebsratsarbeit als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG?
1. Betriebsratsarbeit ist keine Arbeitszeit i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG.
2. Nimmt ein Betriebsratsmitglied an einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung teil und ist es ihm deswegen unmöglich oder unzumutbar, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten, so hat es insoweit gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG einen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung (im Anschluss an BAG v. 07.06.1989 - 7 AZR 500/88).
3. Eine Unzumutbarkeit in diesem Sinne ist regelmäßig anzunehmen, wenn ansonsten bei Zusammenrechnung der für die Betriebsratstätigkeit aufgewendeten Zeiten mit den persönlichen Arbeitszeiten die werktägliche Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG überschritten werden würde.
LArbG Hannover 12. Kammer, Beschluss vom 20.04.2015 - 12 TaBV 76/14
Newsletter 02/2016-IV => SAP Abrechnung: Keine Anrechnung von Urlaubsgeld auf den gesetzlichen Mindestlohn
Stellt ein Tarifvertrag hinsichtlich eines zu gewährenden Nachtzuschlags auf den "Stundenverdienst" ab, ist dieser auf Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 €/Stunde und nicht nach einer etwaig niedrigeren (und damit rechtswidrigen) Grundvergütung zu berechnen.
Aufgrund seiner Kompensationsfunktion kann Urlaubsgeld regelmäßig nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden.
Die Einführung des gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohns in Höhe von 8,50 €/Stunde (§ 1 Abs. 1, 2 MiLoG) zum 01.01.2015 ist verbunden mit zahlreichen Unklarheiten bei der Anwendung und Auslegung des Gesetzes.
ArbG Bautzen 1. Kammer, Urteil vom 25.06.2015 - 1 Ca 1094/15
Newsletter 02/2016-V => SAP Zeitwirtschaft / Abrechnung : Keine betriebliche Übung zur Entgeltzahlung in Raucherpausen
Hat der Arbeitgeber während sog. Raucherpausen, für die die Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz jederzeit verlassen durften, das Entgelt weitergezahlt, ohne die genaue Häufigkeit und Dauer der jeweiligen Pausen zu kennen, können die Arbeitnehmer nicht darauf vertrauen, dass der Arbeitgeber diese Praxis weiterführt. Ein Anspruch aus betrieblicher Übung entsteht nicht.
Der Entscheidung liegt der in Betrieben immer wieder vorkommende Fall zu Grunde, dass Arbeitnehmer der Auffassung sind, es bestehe ein Anspruch auf Bezahlung der von ihnen in Anspruch genommenen Raucherpausen.
LArbG Nürnberg 2. Kammer, Urteil vom 05.08.2015 - 2 Sa 132/15
Newsletter 02/2016-VI => Auswertung von Browserverlauf ohne Zustimmung des Arbeitnehmers möglich (Arbeitszeitbetrug)
Das LArbG Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass der Arbeitgeber berechtigt ist, zur Feststellung eines Kündigungssachverhalts den Browserverlauf des Dienstrechners des Arbeitnehmers auszuwerten, ohne dass hierzu eine Zustimmung des Arbeitnehmers vorliegen muss.
Der Arbeitgeber hatte dem Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung einen Dienstrechner überlassen; eine private Nutzung des Internets war dem Arbeitnehmer allenfalls in Ausnahmefällen während der Arbeitspausen gestattet. Nachdem Hinweise auf eine erhebliche private Nutzung des Internets vorlagen, wertete der Arbeitgeber ohne Zustimmung des Arbeitnehmers den Browserverlauf des Dienstrechners aus. Er kündigte anschließend das Arbeitsverhältnis wegen der festgestellten Privatnutzung von insgesamt ca. fünf Tagen in einem Zeitraum von 30 Arbeitstagen aus wichtigem Grund.
Das LArbG Berlin-Brandenburg hat die außerordentliche Kündigung für rechtswirksam gehalten.
Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts rechtfertigt die unerlaubte Nutzung des Internets nach Abwägung der beiderseitigen Interessen eine sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Hinsichtlich des Browserverlaufs liege ein Beweisverwertungsverbot zu Lasten des Arbeitgebers nicht vor.
Zwar handele es sich um personenbezogene Daten, in deren Kontrolle der Arbeitnehmer nicht eingewilligt habe. Eine Verwertung der Daten sei jedoch statthaft, weil das Bundesdatenschutzgesetz eine Speicherung und Auswertung des Browserverlaufs zur Missbrauchskontrolle auch ohne eine derartige Einwilligung erlaube und der Arbeitgeber im vorliegenden Fall keine Möglichkeit gehabt habe, mit anderen Mitteln den Umfang der unerlaubten Internetnutzung nachzuweisen.
Das LArbG Berlin-Brandenburg hat die Revision an das BAG zugelassen.
Quelle: Pressemitteilung des LArbG Berlin-Brandenburg Nr. 9/2016 v. 12.02.2016, Aktenzei-chen 5 Sa 657/15
Newsletter 06/2015-I => SAP Zeitwirtschaft: Technische Verbesserungen mit SP 87
SAP Zeitwirtschaft: Technische Verbesserungen mit SP87
Mit Auslieferung des SP87 im Mai 2015 stehen folgende technischen Verbesserungen zur Verfügung:
- Hinweis 2112174: Button “AZPRegel suchen” im Anzeigemodus Infotyp 0007 „Sollarbeitszeit“
Der Button zur systematischen Suche nach Arbeitszeitplanregeln steht nun auch im Anzeigemodus PA20 des Infotypen 0007 zur Verfügung, nicht mehr nur im Pflegemodus (Pflegemodus PA30: Hinweis 1795844). Der Button kann über T588M eingeblendet werden.
- Hinweis 2112163: Neue Parameter LEACL für Operation VARST
Die Operation VARST wird um den Parameter LEACL erweitert. Hiermit kann die Auszählklasse des Periodenarbeitszeitplans V_T551C-URLKZ ausgelesen werden.
- Hinweis 2092479: Zeitliche Abgrenzung Kurzbezeichnungen im TMW
Die Kurzbezeichnungen im TMW können nun zeitlich abgegrenzt werden. Hierdurch wird es möglich, Kurzbezeichnungen ab einem Stichtag zu ändern, ohne die Historie zu beschädigen. Die Funktionalität kann über den IMG aufgerufen und aktiviert werden.
- Hinweis 2099812: Löschen von Datensätzen in Cluster B1 and B2
Report PRCLSTB2 wird um den Button „Löschen“ erweitert. Report PRCLSTB1 wird um den Button „Löschen“ für Tabelle ERT (Meldungen) erweitert.
Mit den neuen „Löschen“-Buttons können überflüssige Einträge zeilengenau gelöscht werden.
Die Berechtigungen des anzuwendenden Users müssen entsprechend erweitert werden.
Die Aktivierung der Funktionalität erfolgt über T77S0, Schalter TIMGT CLDEL
Newsletter 06/2015-II => SAP Zeitwirtschaft: Technische Verbesserungen mit SP 87
Mit Auslieferung des SP87 im Mai 2015 stehen folgende technischen Verbesserungen in den Bereichen Personaladministration und Organisationsmanagement zur Verfügung:
Organisationsmanagement:
- Hinweis 2094518: Button “Auffrischen” in den Transaktionen PPOME, PPOSE, PPOCE
Bisher war das Verlassen und der Wiederaufruf der Transaktionen notwendig, um neu erfasste Personalmaßnahmen über Transaktion PA40 berücksichtigen zu können. Es steht zu diesem Zweck nun der Button „Auffrischen“ zur Verfügung.
- Hinweis 2097603: Navigation von IT0001 in das Organisationsmanagemt
Der Button „OrgMgMtInfo...“ öffnet ein Dialogfenster, von welchem aus die alte Transaktion PPOM_OLD ausgerufen wird. Mit der Neuerung kann nun die Transaktion PPOSE aufgerufen werden. Die Aktivierung erfolgt über T77S0, Schalter ADMIN PPOSE.
- Hinweis 2116998: Anzeige Besetzungsvolumen
Das Organisationsmanagement (PPOME) wird um die Information über das Besetzungs-
volumen einer Planstelle ergänzt. Es steht im Dialog „Details für Person ...“ der neue Reiter „Besetzung %“ zur Verfügung. Der Reiter kann in Tabelle T77OMTABS, EintragEMPL_PCT aktiviert werden.
Personaladministration:
- Hinweis 2110196: Automatische Umschaltung Stammdatenpflege in Anzeigemodus
Die Transaktionen PA30, PA40 oder PA61 sperren die bearbeitete Personalnummer, bis
der User diese wieder freigibt.
Es steht nun eine automatische Umschaltung in den Anzeigemodus zur Verfügung, die kundenindividuell nach einer vorgegebenen Zeitspanne erfolgt. Der bisherige User wird
in diesem Fall vorab per Popup gewarnt und über die dann erfolgte Umschaltung in der Statusleiste informiert.
Das Customizing erfolgt über den IMG-Pfad „Personalmanagement - Personaladministration – Grundeinstellungen“.
- Hinweis 2099012: „Auffrischen“ im Anzeigemodus
Im Hintergrund erfolgte Stammdatenänderungen werden bisher im Anzeigemodus (PA20, PA51) erst mit erneutem Aufruf der Transaktion angezeigt. Es steht nun in beiden Transaktionen der Button „Auffrischen“ zur Verfügung
- Hinweis 2135764:
Fehlermeldung bei fehlender Infotyp-Subtypenberechtigung
Bisher führte in den Transaktionen PA20, PA30 eine einzige fehlende Subtypberechtigung zur
Fehlermeldung „Keine Leseberechtigung ...“ bei Betätigen des Buttons „Überblick“.
Mit SP 87 werden nun alle Subtypen, für die eine Berechtigung vorhanden ist, angezeigt. Es erfolgt ein Hinweis in der Statusleiste, falls mindestens ein Subtyp nicht angezeigt wird.
- Hinweis 2132315: Erweiterte Selektionsmöglichkeiten in Report RPUAUD00
Die bisherigen Selektionsmöglichkeiten im Report RPUAUD00 „Protokollierte Änderun-
gen in den Daten der Informationstypen“ waren nicht ausreichend.
Folgende Selektionsmöglichkeiten wurden ergänzt:
- Personalbereich
- Personalteilbereich
- Mitarbeitergruppe
- Mitarbeiterkreis
- Auswertungszeitraum
Die Selektionen nutzen nun die logische Datenbank PNPCE und können entsprechend erweitert werden. Die Aktivierung erfolgt über T77S0, Schalter ADMIN RPAUD.
- Hinweis 2098474: Erweiterte Detailansicht IT 0001, Button „OrgMgmt Info...“
Das Popup bei Betätigung des Buttons „OrgMgmt Info...“ enthält nun eine Scrolleiste, um
Mehrfachzuordnungen anzeigen zu können.
- Hinweis 2144282: Reduzierung mehrfacher Einträge in Suchhilfe PREM
In der Suchhilfe für Personalnummern werden Personalnummern mehrfach angezeigt, wenn sie mehrfache Datensätze im gewählten Infotypen aufweisen.
Abhängig vom neuen Benutzerparameter HR_SEARCH_SHOW_P_1 enthält die Ergebnisliste entweder alle Datensätze oder nur Datensätze mit einer entsprechenden Gültigkeitgemäß SY-DATUM. Die folgenden Suchhilfen sind betroffen:
- PREMK Organisatorische Zuordnung
- PREMN Nachname – Vorname
- PREML Zeitsachbearbeiter
Newsletter 06/2015-III => Zeitwirtschaft (D): Arbeit auf Abruf ohne Festlegung von Lage oder Dauer
SAP Zeitwirtschaft: Arbeit auf Abruf bei flexibler Arbeitszeit
Die Vereinbarung flexibler Arbeitszeiten ist ein beliebtes Instrument, um schwankendes Arbeitsvolumen abzufedern und das Beschäftigungsrisiko zu verringern. Eine Möglichkeit kann darin liegen, „Arbeit auf Abruf“ mit flexibler Lage und Dauer der Arbeitszeit zu vereinbaren.
Haben die Vertragsparteien „Arbeit auf Abruf“ ohne bestimmte Lage oder Dauer festgelegt, berührt dies nicht die Wirksamkeit der Vereinbarung. Allerdings gelten dann die zum Schutz des Arbeitnehmers gesetzlich fingierten Arbeitszeiten gemäß § 12 Abs. 1 Satz 3, 4 TzBfG.
Das BAG befasste sich am mit dem Urteil 5 AZR 1024/12 vom 24.09.2014 mit der Auslegung und den Rechtsfolgen derartiger Verträge.
So sind „Nullstundenverträge“ rechtlich unwirksam. Ein Arbeitsvolumen von 10 Stunden / Woche stellt den Mindestanspruch des Arbeitnehmers gemäß § 12 Abs. 1 Satz 3 und 4 TzBfG dar. Eine regelmäßig 10 Wochenstunden überschreitende Wochenarbeitszeit kann zu einem entsprechenden Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers führen.
Entscheidend sind die schriftliche Vereinbarung im Arbeitsvertrag und das in der Praxis tatsächlich geleistete Arbeitszeitvolumen.
Wird zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht eindeutig ein Vollzeitarbeitsverhältnis mit variabler Arbeitszeit vereinbart, so besteht laut o.g. Urteil des BAG im Zweifel ein Teilzeitarbeitsverhältnis auf Abruf. Die Entscheidung stößt in Juristenkreisen auf Zweifel, ob dies wiederum der AGB-Prüfung der §§ 305 ff BGB standhält, die bei Standardarbeitsverträgen im Zweifel zu Lasten des Arbeitgebers gehen.
Newsletter 06/2015-IV => Zeitwirtschaft (D): Urlaubsanspruch bei Reduzierung der wöchentlichen Arbeitstage
Kann ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer vor seinem Wechsel in eine Teilzeittätigkeit mit weniger Wochenarbeitstagen Urlaub nicht nehmen, darf nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) die Zahl der Tage des bezahlten Jahresurlaubs wegen des Übergangs in eine Teilzeitbeschäftigung nicht verhältnismäßig gekürzt werden. Das Argument, der erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub werde bei einer solchen Kürzung nicht vermindert, weil er in Urlaubswochen ausgedrückt unverändert bleibe, hat der EuGH unter Hinweis auf das Verbot der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter ausdrücklich verworfen.
Aufgrund dieser Rechtsprechung des EuGH konnte an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht festgehalten werden, nach der die Urlaubstage grundsätzlich umzurechnen waren, wenn sich die Anzahl der mit Arbeitspflicht belegten Tage verringerte.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung. Der Kläger wechselte ab dem 15. Juli 2010 in eine Teilzeittätigkeit und arbeitete nicht mehr an fünf, sondern nur noch an vier Tagen in der Woche. Während seiner Vollzeittätigkeit im Jahr 2010 hatte er keinen Urlaub. Die Beklagte hat gemeint, dem Kläger stünden angesichts des tariflichen Anspruchs von 30 Urlaubstagen bei einer Fünftagewoche nach seinem Wechsel in die Teilzeittätigkeit im Jahr 2010 nur die 24 von ihr gewährten Urlaubstage zu (30 Urlaubstage geteilt durch fünf mal vier). Der Kläger hat die Ansicht vertreten, eine verhältnismäßige Kürzung seines Urlaubsanspruchs sei für die Monate Januar bis Juni 2010 nicht zulässig, sodass er im Jahr 2010 Anspruch auf 27 Urlaubstage habe (für das erste Halbjahr die Hälfte von 30 Urlaubstagen, mithin 15 Urlaubstage, zuzüglich der von ihm für das zweite Halbjahr verlangten zwölf Urlaubstage).
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, die Beklagte habe dem Kläger drei weitere Urlaubstage zu gewähren. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Zwar regelt § 26 Abs. 1 TVöD u.a., dass sich der für die Fünftagewoche festgelegte Erholungsurlaub nach einer Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf weniger als fünf Tage in der Woche vermindert. Die Tarifnorm ist jedoch wegen Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitkräften unwirksam, soweit sie die Zahl der während der Vollzeittätigkeit erworbenen Urlaubstage mindert.